Überall gesund arbeiten

Die hybride Arbeitswelt stellt Arbeitgeber vor besondere Herausforderungen. Wie können Arbeits- und Gesundheitsschutz gewährleistet werden, wenn Beschäftigte multilokal tätig sind? Wie bringt man sie dazu, gerne im Büro zu sein?

Hybrides Arbeiten ist gekommen, um zu bleiben. Die Menschen schätzen die Vorzüge des mobilen Arbeitens so sehr, dass sie kaum noch im Unternehmen sind. Aber viele Arbeitgeber wünschen sich ihre Beschätigten wieder mehr zurück ins Büro.

„So wie vor der Pandemie wird es nie mehr“, sagt Dr. Stefan Rief vom Fraunhofer IAO. „Allein der Wegfall des Arbeitsweges ist für die Menschen eine große Zeitersparnis. „Diese Zeit wird teilweise darauf verwendet, mehr zu arbeiten. Aber viele nutzen sie auch für ihre Freizeit und soziale Aktivitäten“, ergänzt Dr. Michael Barth, Arbeitsmediziner bei BAD. „Das wollen die Menschen sich nicht mehr wegnehmen lassen.“


Arbeitsräume sollten kuratiert werden

Umgekehrt sind viele Beschäftigte der Videokonferenzen und des Homeoffice überdrüssig. Sie sehnen sich nach Kontakt mit Kolleg:innen. „Es braucht grundsätzlich attraktive Arbeitsstätten, damit die Leute, die Zeit, die sie mit dem Wegfall des Arbeitsweges sparen, gerne investieren, um wieder ins Büro zu kommen“, sagt Dr. Barth. „Unterstützende Angebote wie Kantine und Kinderbetreuung können da helfen.“

Wichtig ist auch Transparenz. Denn einige fürchten, niemanden im Büro anzutreffen. Weil Menschen Menschen anlocken, sollte sichtbar gemacht werden, wer wann vor Ort ist. „Wenn ich weiß, dass bestimmte Kollegen da sein werden, dann komme ich auch“, sagt Rief.

„Es muss auch zu sehen sein, was in den Räumen passiert. Im Prinzip ist so etwas wie ein Centermanager nötig, um das Büro zu kuratieren. Büros entwickeln sich eher zu Betreiberimmobilien, um die sich jemand bewusst kümmern muss. Es braucht ein Grundrauschen, damit die Leute zueinanderkommen.“
 

Früher „Luft, Licht, Lärm“ – heute „Küchenstuhl, Kinder, Kalorien“

Doch natürlich gilt es auch, die Mitarbeitenden, die vorzugsweise im Homeoffice sind, gesund zu halten. Waren im Büro die drei „L“ - Luft, Licht und Lärm - das Thema, sind es heute die drei „K“: Küchenstuhl, Kinder, Kalorien. „Wir stellen eine Zunahme an Rückenschmerzen, insbesondere Kreuz- und Nackenschmerzen fest.

Das Ausmaß an Bewegung ist zuhause oft kleiner und die Abgrenzung von beruflichen zu privaten Anforderungen fällt nicht immer leicht. Wir beobachten, dass auch die Belastung des visuellen Systems durch die vielen Videokonferenzen und reine Bildschirmarbeit – also immer im Nahbereich – neben anderen Faktoren zu einem neuen Phänomen, der Zoom Fatigue, beiträgt. Und die Informationsdichte erhöht zusätzlich noch das Stressempfinden“, sagt Barth. „Die Ausstattung zuhause lässt meist zu wünschen übrig, obwohl laut Arbeitsstättenverordnung an beiden Orten dieselben Bedingungen herrschen sollten“, beobachtet auch David Wiechmann, Vorsitzender von DNB e.V.

„Die meisten Unternehmen sind gut ausgestattet, aber das lässt sich nicht aufs Homeoffice übertragen. Der Küchentisch ist repräsentativ. Wenige Leute haben die Möglichkeit, in einem separaten Arbeitszimmer zu arbeiten.“ In den Herbst- und Wintermonaten ist Beleuchtung ein großes Problem. „Da investieren wahrscheinlich bislang die wenigsten in hochwertige Beleuchtung“, fürchtet Rief.

„Wenn Menschen zwei bis drei Tage in der Woche zuhause arbeiten, muss der Arbeitgeber das aber ernst nehmen und ihn unterstützen. Denn das sind ja meine Mitarbeitenden, die optimalerweise auch wieder zurück zu mir ins Büro kommen und die ich an meinen Betrieb binden will.“


Sensorbasierte Coachings und Stärkung der Eigenverantwortlichkeit

Für Beratung und Coachings im Homeoffice können digitale Kanäle und Videokonferenz-Tools eingesetzt werden. Auch Unterweisungen aus dem Pflichtenheft können so vorgenommen werden. Als Antwort auf die zunehmenden Rückenschmerzen gibt es auch mobil einsetzbare, sensorbasierte Analysen von Bewegungsmustern am Arbeitsplatz (auch zuhause) über einen mehrwöchigen Zeitraum mit anschließenden Verhaltensempfehlungen und Tutorials.

Beispielsweise bietet BAD seit dem vergangenen Jahr KICO an - ein Gesundheitscoach, der mithilfe künstlicher Intelligenz Beschäftigte motiviert, gesünder zu arbeiten und zu leben. „Das Wichtigste aber ist die Stärkung der Eigenverantwortlichkeit und der Kompetenz der Beschäftigten – in Bezug auf die körperliche und psychische Gesundheit. Man sollte Selbstmanagement ins Coaching aufnehmen. Die Basis von allem ist und bleibt aber ein ergonomischer Arbeitsplatz“, betont Wiechmann.


Individualisierung auch in der modernen Arbeitswelt von Bedeutung

Doch in Zukunft reicht es nicht, nur vom Aufgaben- oder Tätigkeitsbereich auszugehen. Denn Menschen sind Individuen. „In der hybriden neuen Welt kommt es mehr darauf an, wie mein Charakter ist. Bin ich introvertiert, extrovertiert, suche ich Nähe zu Menschen, suche ich nach mehr Information. Ein Teil der Menschen würde gerne ins Büro kommen, hat aber Sorge, dort niemanden anzutreffen. Vielleicht kann ich aus dieser Gruppe einige zurückgewinnen? Vorgesetzte müssen lernen, individueller zu führen“, sagt Rief.


Workation fördert die Kreativität

Und mittlerweile erfreut sich noch eine andere Art zu arbeiten wachsender Beliebtheit. Die Menschen begeben sich auf „Workation“ (verbunden aus den englischen Wörtern „work“ und „vacation“ zusammengezogen). In dieser Zeit verreisen Mitarbeitende, auch in andere Länder, verlängern das Wochenende und arbeiten in und aus der Ferne. Dazu bedarf es einer Betriebsvereinbarung. Ist die einmal erteilt, spricht nichts gegen die Workation.

„Mehr als die Hälfte der Beschäftigten wünschen sich Workation, bei den unter 35-Jährigen sind es 68 Prozent“ sagt Rief. Auch hier sei es wichtig, Begegnungszeiten zu vereinbaren. Die Leute könnten so auf Menschen von anderen Unternehmen treffen und kämen hoffentlich mit neuen Inspirationen im Gepäck zurück. Sie könnten beispielsweise eine App oder ein Geschäftsmodell kennenlernen, die oder das es nur in einem anderen Land gibt. Alleine das sei für ein Unternehmen wertvoll. „Unterwegs sammelt man viel neue Informationen und Eindrücke. Das fördert auf jeden Fall die Kreativität“, findet auch Wiechmann.


Digitalisierung und immersive Meeting-Strukturen

Ein anderer Game Changer in der Arbeitswelt ist Künstliche Intelligenz (KI). Sie bringt enorme Erleichterungen und kann zum Beispiel bei Dokumentationsprozessen helfen. Die KI befreit von Routinearbeiten. Beschäftigte haben mehr Zeit, die wirklichen Probleme zu lösen.

Großes Potenzial bietet aber noch eine weitere Neuheit. „Ich warne davor zu glauben, dass wir die hybride Arbeitswelt richtig verstanden hätten. Sie schenkt uns viel Freiheit, aber jetzt arbeiten wir gerade mal seit zwei Jahren so. Was den Menschen fehlt, ist das Über-die-Schulter-Schauen, das informelle Mitbekommen. Das können wir digital noch nicht so richtig gut abbilden. Wir wollen in unserem Institut eine immersive Meeting-Infrastruktur aufbauen - mit dem Ziel, auch virtuell miteinander und nebeneinander zu arbeiten. In einer immersiven Welt könnte ich während eines Treffens auf meine Kolleg:innen zugehen. So wird ein Gefühl von Nähe erzeugt. Oder ich könnte über das Metaverse statt im grauen Büro an einem See in Norwegen sitzen. Das kann ich räumlich oder digital lösen, am besten beides“, fordert Rief.

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