In welchen Krisensituationen gehen Führungskräfte und Mitarbeitende auf Sie zu?
Susanne Laß:Häufig melden sich Führungskräfte oder Personalreferenten, wenn in einem Team ein plötzlicher Todesfall eintritt, beispielsweise nach einem tödlichen Autounfall, einem Suizid eines Mitarbeitenden oder auch nach einem Suizidversuch. Ich bin aber auch schon zur Unterstützung geholt worden, als der Verdacht eines Amoklaufs ein Team erschüttert hat und nach dem Überfall auf eine Mitarbeiterin, die danach einen emotionalen Zusammenbruch erlitten hat.
Was machen solche Erlebnisse mit den Betroffenen?
Susanne Laß:Solche Extremereignisse sind plötzliche, unerwartet kritische Situationen, massive Veränderungen, in denen die Betroffenen Gefühle der Ohnmacht oder Lähmung, Hilflosigkeit und des Ausgeliefertseins empfinden können. Insbesondere in völlig unerwarteten Situationen wie einem tödlichen Autounfall müssen die Kollegen und Kolleginnen mit dem Gedanken „Das kann auch jederzeit mir passieren.“ umgehen. Bei einigen Menschen, Führungskräften wie auch Einzelpersonen, werden die Grenzen der individuellen Bewältigungsmöglichkeiten überschritten, das Sicherheitsgefühl ist bedroht. Das ist aber nicht bei allen Menschen gleich.
Wie meinen Sie das? Gibt es Menschen, die solche Ereignisse nicht erschüttern?
Susanne Laß:In der Regel ist der Umgang mit solchen Ereignissen sehr unterschiedlich. Einige Menschen verdrängen die Situation erst einmal. Das kann einfach ein Selbstschutz der Psyche sein. Dann kommen die Ohnmachts- oder Trauergefühle vielleicht erst später.
Bei anderen Menschen werden durch den Todesfall oder das Extremereignis alte Erlebnisse angetriggert. Trigger können bewirken, dass Menschen mit nicht verarbeiteten Traumata mit den Gefühlen überflutet werden, die damals in der traumatischen Situation abgespeichert worden sind.
Daher sind auch die Bedürfnisse der Betroffenen sehr unterschiedlich in so einem Moment. Einige Mitarbeitende ziehen sich erst einmal zurück und müssen das Erlebte für sich bearbeiten. Andere brauchen die Möglichkeit, Fragen zu stellen und sich austauschen zu können.
Wie unterstützen Sie solche betroffenen Teams und deren Führungskräfte in solchen Situationen?
Susanne Laß:Erst einmal spreche ich mit der Führungskraft, um herauszufinden, wie stabil sie ist und welche Hintergründe sie zu dem Todesfall oder dem Extremereignis hat.
Wenn beispielsweise noch polizeiliche Ermittlungen laufen, ist es wichtig, dass die Mitarbeitenden zu dem offiziellen Wissensstand informiert werden und nicht noch die Gerüchteküche weiter angeheizt wird. Diese Informationen sollten daher möglichst über die Führungskraft vermittelt werden.
Manchmal ist es aber so, dass die Führungskraft selbst emotional derart erschüttert ist, dass sie gegenüber dem Team kaum sprechfähig ist. Wenn ich das weiß, biete ich an, dass ich ins Team mit ihr gemeinsam gehe und den Prozess begleite.
Was machen Sie konkret, wenn Sie das Team vor Ort unterstützen?
Susanne Laß: Oft ist es erst einmal wichtig, dass überhaupt ein gemeinsamer Raum für den Austausch da ist. Daher werden auch alle Mitarbeitenden und andere Betroffene zu diesem gemeinsamen Gespräch eingeladen – möglichst zügig nach dem Bekanntwerden des Ereignisses, notfalls auch als digitaler Termin, wenn viele im Homeoffice arbeiten.
Die Führungskraft erzählt dann allen, was passiert ist und welche Fakten bekannt sind. Um die Stimmung nicht weiter anheizen zu lassen, bittet er/sie, dass keine Gerüchte und Spekulationen zum Tod, Suizid oder dem Extremereignis verbreitet werden. Wenn sich die Führungskraft im weiteren Verlauf um eine zeitnahe Informationspolitik gegenüber dem Team kümmert, beruhigt sich die Stimmung im Team häufig.
Danach übernehme ich die Gesprächsführung und lade zum Austausch ein. Ich teile auch mit, dass es völlig in Ordnung ist, wenn einige erst einmal nichts sagen mögen. Nachdem sich die Mitarbeitenden zu ihrem aktuellen Befinden geäußert haben, erläutere ich, welche Folgen so ein Ereignis auf die Psyche haben kann. Damit möchte ich dazu einladen, dass Mitarbeitende sich auch an mich oder eine andere/n Beratende/n von BAD wenden können, wenn die Ohnmachts- oder Trauergefühle erst zu einem späteren Zeitpunkt auftauchen.
Außerdem erläutere ich, wie die normale Trauerverarbeitung aussieht und ab wann man sich Unterstützung holen sollte. Die Regel ist, dass wenn nach 4-6 Wochen immer noch Gedanken und Emotionen stark mit dem Ereignis beschäftigt sind, eine Posttraumatische Belastungsstörung vorliegen kann. Dann sollten sich die Mitarbeitenden unbedingt Hilfe holen.
Was raten Sie Führungskräften und Mitarbeitenden im Umgang mit trauernden Kollegen/Kolleginnen generell?
Susanne Laß: Eine gute Selbstfürsorge ist die Grundlage. Bieten Sie nur Hilfe an, wenn Sie sich selbst dazu in der Lage fühlen. Einem trauernden Kollegen/einer trauernden Kollegin ein offenes Ohr anzubieten oder auch andere Hilfe, hilft der betroffenen Person und zeigt, dass ihre Trauer kein Tabu ist. Aber drängen Sie niemanden zum Gespräch.
Als Führungskraft sollte man dafür offen sein, dass alle Mitarbeitenden unterschiedlich mit ihrer Trauer umgehen. So ist es für einige Beschäftigte immens wichtig, dass sie weiter zur Arbeit gehen können, weil es sie ablenkt. Da wäre es einfach falsch, wenn die Führungskraft den/die Mitarbeitende/n nach Hause schickt, weil er/sie hin und wieder in Tränen ausbricht.
Wenn Sie merken, dass sie selbst emotional belastet sind, holen Sie sich selbst Hilfe und entscheiden Sie auch als Führungskraft, was Sie jetzt brauchen. Manchmal muss man dann auch an einen Kollegen/eine Kollegin die Führungsaufgabe in der Krisensituation delegieren, die/der weniger betroffen ist und für den Moment das betroffene Team begleitet.
Wenn Sie bei sich oder anderen feststellen, dass durch die Krise Flashbacks, alte Themen oder Traumata angetriggert werden oder auch das Gegenteil wie das Gefühl der Abgestumpftheit und aktiven Vermeidung von Situationen auftritt, vermitteln Sie, dass es keine Schande ist, sich professionelle Hilfe zu holen. Die Berater/innen von BAD unterstützen die Mitarbeitenden anonym und kostenfrei gerne zeitnahe im Trauerprozess.