Welche Herausforderungen beobachten Sie auf Unternehmensseite während der massiven Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Mobile Arbeiten? Mit welchen Problemen sind Unternehmen, die Sie beraten, konfrontiert?
Jutta Matuschek: Zunächst sind es die Kommunikationskanäle, die im Fokus stehen und damit die Art, wie Mitarbeitende Informationen bekommen. Während es in Bürowelten Aushänge gibt, Schichtpläne oder Listen ausgelegt wurden, muss nun alles digitalisiert werden. Des Weiteren müssen zusätzlich sämtliche Maßnahmen, die im Rahmen der Corona-Schutzverordnung getroffenen wurden, kommuniziert werden. Auch die Besprechungskultur hat sich natürlich durch Mobiles Arbeiten und die damit verbundene Distanz deutlich verändert. Das betrifft die notwendige Ausstattung hinsichtlich Hardware und Software, die Tools, die genutzt werden und natürlich auch die Planung und Gestaltung von virtuellen Meetings. Aktuell beschäftigt die Verantwortlichen in Unternehmen die Gestaltung der zukünftigen Arbeitswelt. Das sind neben Raumkonzepten auch Überlegungen, in welchem Maße Mobiles Arbeiten auch nach Corona Bestand haben wird – mit der Konsequenz, dann ggf. Mietverträge für Immobilien zu kündigen, weil der Platz nicht mehr gebraucht wird.
Welche drei typischen Stolperfallen im Bereich Arbeitssicherheit im Mobilen Arbeiten sollten Arbeitgeber*innen unbedingt beachten?
Jutta Matuschek: Ergonomie ist sicherlich ein wichtiges Thema bei Mobilem Arbeiten. In der Regel hat man zuhause nicht die gleiche komfortable Ausstattung wie im Büro, wo es vielfach ergonomische Sitzmöbel oder höhenverstellbare Tische gibt. Kommt eine schlechte Sitzhaltung hinzu, ist dies schädlich für unsere Muskulatur; Verspannungen und Verkrampfungen sind die Folge.
Bewegungsmangel ist ein weiterer Punkt, neben den psychischen Belastungen. In unseren Beratungen wird häufig der Verlust von Bindung und Zugehörigkeit angesprochen. Hier ist jedoch die Spanne der Empfindungen sehr breit. Bei einigen rührt soziale Distanz an Grundängste, bei wieder anderen führt sie dazu, dass das Leben zurzeit als monoton empfunden wird. Ein weiteres Thema, das Arbeitgeber in punkto psychische Belastungen auf dem Schirm haben sollten, betrifft die Entgrenzung, die mangelnde Distanz zwischen Berufs- und Privatleben.
Die Gefährdungsbeurteilung der psychischen Belastung von Mitarbeitern ist Pflicht. Wie können Führungskräfte das bei Mobilem Arbeiten erfassen?
Jutta Matuschek: Die Instrumente, die zur Erfassung der psychischen Belastungen zur Verfügung stehen, werden auch beim Mobilen Arbeiten eingesetzt. Das ist zum Beispiel das Fragebogenverfahren oder das moderierte Verfahren, wo man unter anderem in Gruppendiskussionen spricht. All das kann auch virtuell durchgeführt werden. Das heißt, methodisch gibt es keine Grenzen. Was bei der Gefährdungsbeurteilung noch zusätzlich berücksichtigt werden muss sind die Auswirkungen der Pandemie.
Hier haben wir die Erfahrung gemacht, dass diese durch das dialogische Verfahren gut erfasst werden können: zum Beispiel durch Expert*inneninterviews gepaart mit Mitarbeitendeninterviews oder Fokusgruppen, die zusätzlich stattfinden. Häufiges Ergebnis ist übrigens, dass bei den meisten Beschäftigten die Angst vor einer Infizierung mit Corona gar nicht im Vordergrund steht; viel stärker zu Buche schlagen die Auswirkungen auf das soziale Gefüge.
Vereinsamung von Angestellten und Suchtgefahr sind Kehrseiten bei der Arbeit zuhause. Wie können Führungskräfte hier gegensteuern?
Jutta Matuschek: Führungskräfte sind natürlich jetzt in der besonderen Verantwortung. Sie müssen extrem sensibel sein, welche Auswirkungen die Ausnahmesituation und die Einschränkungen auf jeden Mitarbeitenden individuell haben, ob Verhaltensauffälligkeiten zu beobachten sind. Das bedeutet im Führungsverhalten, dass man beispielsweise häufiger zu sogenannten reichen Kommunikationsmedien greifen sollte, also solche Kanäle wählt, bei denen man mehr Informationen auch vom Gegenüber erhält. Heißt: statt Mailen zum Telefon zu greifen, oder wenn man jemanden persönlich sehen will, per Video chatten.
Wichtig im Umgang ist es, offene Fragen zu stellen: „Wie geht es Dir mit der Situation?“, sodass der Gesprächspartner gefordert ist, etwas von sich preiszugeben. Was Sucht anbelangt, besteht natürlich in Zeiten des Mobilen Arbeitens eine Verdunklungsgefahr. Da kommen Führungskräfte an ihre Grenzen, was die Fürsorgepflicht anbelangt. Man kann das nicht kontrollieren.
Wichtig ist aber: Wenn Führungskräfte ungewöhnliches oder untypisches Verhalten feststellen, dann sollten sie dem nachgehen und auf ihr Bauchgefühl hören. Und ihre Sorge ggf. in einem Einzelgespräch äußern. Wenn sie selbst nicht weiterkommen, ist es sinnvoll, sich Hilfe hinzuzuholen, Dritte einzubeziehen. So kann vermieden werden, dass sich sogenannte stille Krisen entwickeln. Diese Art der psychischen Dekompensationen haben wir vor allem bei alleinlebenden Personen während der Pandemie häufiger erlebt. Sie beschreibt eine Form von Hilflosigkeit, da Betroffene keine passende Strategie zur Verfügung haben, um akute Belastungssituationen zu bewältigen.
Wagen Sie einen Blick in die Zukunft: Wird Mobiles Arbeiten das neue Standard-Modell, werden sich hybride Modelle durchsetzen oder wird es gar eine Rückkehr in den klassischen Büroalltag geben?
Jutta Matuschek: Wir haben gelernt, dass man sich in vielen Bereichen schnell anpassen kann, wenn die Situation dies verlangt; wir haben an Flexibilität gewonnen, im Kopf sowie in der praktischen Umsetzung. Ich denke aber auch, dass wir es wieder zu schätzen wissen, dass sich der zähe Arbeitsweg doch lohnt, wenn man dafür mit dem guten Gefühl abends nach Hause fährt, dass man im sozialen Gefüge den Tag verbracht hat, vielleicht Themen schneller klären konnte und wieder im kollegialen Umfeld war.
Meiner Einschätzung nach werden zukünftig vermutlich hybride Arbeitsmodelle im Trend liegen, die Mobiles Arbeiten mit der Arbeit im Büro verbinden.
Dieser Text wurde zuerst bei www.justhomeoffice.de veröffentlicht.
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