#PsychischeBelastungen

"Besonders Führungskräfte können Burnout entwickeln"

"Führungskräfte sind besonders gefährdet, einen Burnout zu entwickeln"

Kerstin Hillbrink, Beraterin Gesundheitsmanagement BAD, erklärt im Interview, dass Führungskräfte oft psychische Erkrankungen oft tabuisieren - mit fatalen Folgen für sich selbst und das Unternehmen.

  Wie können psychische Erkrankungen bei Beschäftigten aus der Tabuzone geholt werden und wie unterschiedlich gehen Unternehmen damit um?

 Kerstin Hillbrink: In diesem Kontext fällt mir als Erstes die Rückmeldung eines Geschäftsführers ein, der das Employee Assistance Program (EAP), ein psycho-soziales Beratungsangebot, nutzte, um sich zu privaten Problemen beraten zu lassen. Die Gespräche ließ er oft über seine Assistentin terminieren. Nach wenigen Wochen meldete sich ein Mitarbeitender des Geschäftsführers aufgrund psychischer Probleme. Sein Chef habe ihm von seinen Erfahrungen erzählt und ihm empfohlen, das Angebot zu nutzen. In diesem Unternehmen scheinen psychische Probleme kein Tabu zu sein.

Dann denke ich an den Gesundheitstag in einer Behörde. Wir konnten dort das neu implementierte Angebot der psychosozialen Beratung präsentieren. In der Eröffnungsrede wurde dies von der Amtsleitung mit den Worten kommentiert: „Heutzutage scheint so etwas ja notwendig zu sein. Wir sind früher bei Problemen noch zum Holzhacken in den Wald gegangen.“ Auch wenn das als Witz gemeint war, wird schnell klar, dass psychische Belastungen am Arbeitsplatz dort erst einmal ein Tabu bleiben.


  Welche Vorbehalte gibt es beim Thema psychische Erkrankungen?

 Kerstin Hillbrink: Da, wo das Wissen über psychische Erkrankungen klein ist, können Vorurteile besonders groß werden. Am besten wirkt man dem durch Information, Aufklärung und Kompetenzentwicklung entgegen. Die Vermittlung von Grundwissen zu Arten, Ursachen und Folgen relevanter psychischer Erkrankungen räumt mit Vorurteilen auf und hilft nicht nur den Betroffenen. Es gibt daran auch ein starkes Interesse – Führungskräfte und Mitarbeitende haben vielfach einen großen Informationswunsch zu Themen wie Burnout oder Depressionen.

Ein weiterer Grund, nicht über psychische Erkrankungen zu reden, ist die Wahrnehmung, dass die Psyche etwas sehr Privates ist. Warum nicht zum Beispiel das Thema „Prävention psychischer Erkrankungen“ in den turnusmäßig stattfindenden Unterweisungen für Mitarbeitende einbauen? Das wäre ein weiterer Schritt, um das Thema Psyche raus aus dem Privatbereich und rein in die Unternehmensfürsorge zu holen.

Führungskräfte brauchen darüber hinaus natürlich auch Kompetenzen bezüglich ihrer Handlungsmöglichkeiten im Umgang mit psychisch auffälligen Mitarbeitenden, wie zum Beispiel das H.I.L.F.E-Konzept (Hinsehen – Initiative ergreifen – Leitungsfunktion wahrnehmen – Führen – Experten hinzuziehen).

Das H.I.L.F.E-Konzept ist ein wertvoller Leitfaden für Führungskräfte. Entwickelt wurde er von der Betriebskrankenkasse (BKK) und der Familien-Selbsthilfe Psychiatrie, mit dem Ziel, Führungskräften eine Orientierung im Umgang mit psychisch belasteten Mitarbeiter*innen zu geben. „Hinsehen“ bedeutet, einen guten Regelkontakt mit allen Mitarbeiter*innen zu haben, um Veränderungen früh wahrnehmen zu können. Führungskräfte sollten zeitnah die „Initiative“ für ein Gespräch ergreifen, um das beobachtete Verhalten offen zu thematisieren. Wenn sich keine Veränderungen abzeichnen, steht an, die „Leitungsfunktion wahrzunehmen“, indem Arbeitsziele und Erwartungen klar formuliert werden. Mit „Führungsverantwortung“ ist gemeint, im Umgang mit den psychisch belasteten Mitarbeitenden eine gute Balance zwischen Über- und Unterforderung, das heißt zwischen Fordern und Fördern zu finden. Und schließlich bedarf es noch des Erkennens der eigenen Grenzen, indem Führungskräfte „ExpertInnen hinzuholen“ und sich bei Bedarf (interne oder externe) Unterstützung holen.


  Schätzen Sie das Thema Prävention als Erfolgsfaktor ein?

 Kerstin Hillbrink: „Zu einem gelingenden Gesundheitsmanagement am Arbeitsplatz gehört das Handwerk der Psychologen dazu“, sagte schon vor Jahren die Präsidentin des Bundesverbandes der Psychologinnen und Psychologen (BDP), Sabine Siegl. Darum sollte es Unternehmen hauptsächlich gehen: Die Prävention psychischer Erkrankungen. Wenn Überforderungen aufgefangen werden, bevor eine behandlungsbedürftige Erkrankung entsteht, ist es das Beste, was passieren kann. Und wenn Themen wie Ängste, Depressionen, Burnout u. a. selbstverständliche Inhalte von Maßnahmen und Konzepten im Gesundheitsmanagement sind, ist man einen guten Schritt Richtung Offenheit gegangen.


  Sollten Führungskräfte eine Vorbildfunktion inne haben, wenn es um die psychische Belastbarkeit geht?

 Kerstin Hillbrink: Wenn es einer Führungskraft schwerfällt, die Grenzen ihrer (psychischen) Belastbarkeit anzuerkennen, dann transportiert sie – gewollt oder ungewollt – diese Grundhaltung weiter an die Mitarbeitenden. Wie viel schwerer fällt es, eine depressive Erschöpfung anzusprechen mit einer Führungskraft, die keinerlei Schwäche zeigt und grenzenlos belastbar scheint.

Ich glaube nicht, dass ein Unternehmen das Thema Psyche aus der Tabuzone herausholen kann mit Führungskräften, die psychische Unverwundbarkeit demonstrieren. Dabei sind Führungskräfte besonders gefährdet, einen Burnout zu entwickeln. Oft trifft hier nämlich eine hohe Leistungsbereitschaft mit starken inneren Antreibern auf ein hohes Stress- und Belastungsniveau. Mitarbeitende beobachten sehr genau, wie ihre Vorgesetzten damit umgehen.


  Wichtiges Instrument im Arbeitsschutzgesetz ist die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen (GB Psych). Was ist das und wie gehen Unternehmen damit um?

 Kerstin Hillbrink: Seit Ende 2013 fordert das Arbeitsschutzgesetz explizit die Berücksichtigung der psychischen Belastung in der Gefährdungsbeurteilung. Das bedeutet, dass alle Unternehmen auch jene Gefährdungen für ihre Beschäftigten ermitteln müssen, die sich aus der psychischen Belastung bei der Arbeit ergeben.

Das Thema psychische Belastungen macht allerdings umso mehr Angst, je weniger Erfahrung es damit gibt. Das zeigt sich bei der GB Psych sehr deutlich und ist sicher ein Grund, warum viele Betriebe die gesetzliche Vorschrift zur Umsetzung nicht erfüllen.

Dabei liegen psychische Belastungen oft nur in unzureichend gestalteten Arbeitsplätzen und/oder schlecht organisierten Arbeits- und Kommunikationsabläufen, die mit wenig Aufwand zu verringern oder zu beheben sind. Selbst für die ebenfalls häufig gefundenen konflikthaften Beziehungen mit Kolleginnen/ Kollegen und Vorgesetzten gibt es in der Regel gute Lösungsansätze, wenn im Rahmen einer GB Psych darüber gesprochen wird. Die (verantwortungsvolle!) Umsetzung der GB Psych als Prozess mit regelmäßiger Wirksamkeits- und Aktualitätsüberprüfung ist ein klares Signal an die Beschäftigten: „Wir nehmen das ernst“, „Psychische Belastungen sind bei uns kein Tabu-Thema.“


  Stichwort: Hilfe bei Rückkehr an den Arbeitsplatz. Wie genau sieht ein Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) aus?

 Kerstin Hillbrink: Nach dem Sozialgesetzbuch sind Arbeitgeber verpflichtet, jedem Arbeitnehmer, der in den letzten 12 Monaten länger als sechs Wochen arbeitsunfähig war, ein Gespräch zur Wiedereingliederung anzubieten. Ziel ist es den Arbeitsplatz zu erhalten, sowie Maßnahmen zu finden, mit denen die Arbeitsunfähigkeit überwunden und erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt werden kann. Psychisch erkrankten Beschäftigten wird somit häufig ein BEM angeboten. Damit die Ziele des BEM erreicht werden können, ist es wichtig, dass die Beschäftigten Vertrauen in die Umsetzung haben und sich trauen, offen anzusprechen, welche Faktoren auf der Arbeit den Krankheitsverlauf negativ beeinflussen.


  Viele Betroffene haben Angst vor Sanktionen des Arbeitgebers. Wie können niederschwellige Beratungsangebote unterstützend wirken?

 Kerstin Hillbrink: Ein weiterer Grund, warum psychologische Erkrankungen oft verschwiegen werden, ist die Angst vor Repressalien. Vor einiger Zeit wurden wir von einem Unternehmen zur Umsetzung von Vorträgen zur Suchtprävention angefragt. In der Vorbereitung darauf lasen wir in der vorhandenen Dienstvereinbarung, dass gleich mit dem 1. Stufengespräch betriebliche Zusatzzuwendungen gestrichen werden. Das zeigt, dass dieses Unternehmen eine Abhängigkeit nicht als eine therapiebedürftige Erkrankung sieht, bei der Betroffene größtmögliche Unterstützung benötigen. Vielmehr scheint es als etwas wahrgenommen zu werden, was disziplinarisch unter Kontrolle gebracht werden kann.

Der Effekt wird sein, dass Betroffene alles tun werden, um ihre Probleme geheim zu halten. Als Unternehmen rutscht man damit schnell Richtung Tabuisierung. Das Beispiel zeigt aber auch wie wichtig ein freiwilliges, anonymes und niedrigschwelliges Beratungsangebot ist. Denn damit können auch Mitarbeitende abgeholt werden, die Angst vor Sanktionen oder Ähnlichem haben und für die Psychische Erkrankungen tatsächlich noch Tabuthemen sind.

 

Dieser Text wurde zuerst bei www.onpulson.de veröffentlicht.

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