Rund 23 Prozent der Befragten einer aktuellen Umfrage geben an, abends oder am Wochenende nicht richtig abschalten zu können. Fast 60 Prozent möchten daher laut der repräsentativen Erhebung im Auftrag der DAK-Gesundheit 2018 Stress abbauen…
Silke Panzau: Die Zahlen kann ich absolut aus unserer Praxis-Erfahrung nachvollziehen. In unseren EAP-Beratungen berichten viele über zu hohen Stress und Druck und möchten mit uns darüber sprechen, wie sie diese Last reduzieren können.
Wie macht sich denn überhaupt Stress bemerkbar?
Silke Panzau: Ganz unwillkürlich und zuverlässig sichert unser Körper die überlebenswichtigen Funktionen. Wenn wir beispielsweise eine Straße überqueren und plötzlich rast ein Auto auf uns zu, das wir vorher nicht wahrgenommen haben, setzt ein vollautomatisierter Mechanismus in Gang: Wir schütten Stresshormone aus, unsere Sinne sind jetzt geschärft, unser Körper ist bereit zur Höchstleistung, um zu fliehen oder anzugreifen. So erkennen wir blitzschnell die Gefahr und rennen.
Wodurch kann heute im Arbeitsumfeld Stress entstehen?
Silke Panzau: Hier unterscheide ich zwischen Stressoren, die wir uns selbst auswählen, und Stresssituationen, in die wir unbeabsichtigt hinein geraten. Wenn wir einen Vortrag halten, können wir die erhöhte Anspannung dazu nutzen, eine optimale Leistung zu erbringen.
Grundsätzlich sind wir in einer immer komplexer werdenden Welt regelmäßig Situationen ausgesetzt, in denen wir uns unter Druck gesetzt fühlen: Wenn ich mit dem Auto auf dem Weg zu einem Termin bin, zu spät bin und dann noch in einen Stau gerate, kann ich sehr gestresst sein. Wenn ich dann auch noch Ärger mit Kollegen oder familiäre Sorgen habe, ist das auf Dauer nicht gerade gesundheitsfördernd.
Wie sollten wir dann mit Stress umgehen, dass er uns nicht krank macht?
Silke Panzau: Hier gilt: Die Dosis macht das Gift – überlebe ich die Situation des auf mich zurasenden Autos beim Überqueren der Straße, kann ich ausatmen und mich entspannen.
Im Alltag ist es wichtig, Grenzen zu ziehen, nicht immer erreichbar zu sein. Letztlich sollte jeder für sich analysieren, wie einerseits die Erwartungen unseres sozialen und beruflichen Umfeldes aussehen und wir diese mit unseren eigenen Bedürfnissen in Einklang bringen können: Was tut mir gut? Was und wie viel können wir leisten, ohne dass die Arbeitsqualität leidet?
Welche Tipps zum Entschleunigen geben Sie Ihren Kunden in Ihren Beratungen?
Silke Panzau: Vorneweg: Wir bieten keine Tipps von der Stange! Stress und Stress-Auslöser sind komplett individuell. Es handelt sich eher um Einladungen, wie jeder ein Bewusstsein dafür schaffen kann, was Stress für ihn bedeutet und wie sich dieser in verschiedenen Situationen anfühlt. Ich muss also erst einmal wahrnehmen, dass ich mich beispielsweise im berühmten Hamsterrad befinde. Dann kann ich überlegen, welche individuellen Maßnahmen ergriffen werden können, um aus diesem Strudel herauszukommen. Mit gezielten Fragen finden wir mit unseren Kunden im Gespräch Antworten.
Wichtig dabei ist, sich Zeit und Raum für sich selbst zu nehmen und zu reflektieren, in welcher Situation man sich befindet. Und dies geht mit einem neutralen Gesprächspartner sehr gut.
In welcher Situation kommen Kunden auf Sie zu und wünschen ein Gespräch?
SilkePanzau: Das ist sehr unterschiedlich. Führungskräfte kommen häufig zu uns, wenn sie Stress körperlich spüren: Viele berichten von Verspannungen im Nacken und im Kopfbereich, von Tinnitus oder Schlafstörungen, dass sie nicht mehr gedanklich abschalten können und nur noch wie ein Roboter funktionieren. Oft ist es dann auch so, dass das private Umfeld spiegelt, dass sie sich verändert haben, weil sie dünnhäutiger oder reizbarer geworden sind.
Für einige fühlt es sich beängstigend an, wenn sie nicht mehr so viel zu leisten imstande sind wie früher. Die Erkenntnis ist dann meistens da, dass es so nicht mehr weitergehen kann. Wenn sie den Weg aus der Misere nicht kennen, kommen viele auf uns zu und nutzen unsere EAP-Beratung, die übrigens immer der Schweigepflicht unterliegt.
Achtsamkeit erlebt bei vielen Deutschen einen regelrechten Hype. Achtsamkeit wird aber häufig mit Meditation verwechselt. Worin liegt also der Unterschied zwischen Achtsamkeit und Meditation?
Silke Panzau: Meditation verfolgt das Ziel, das Bewusstsein und die innere Ruhe zu stärken, indem wir uns in uns selbst zurückziehen. Beispielsweise kann dies über die Atmung gelingen. Achtsamkeit meint, sich ganz auf das zu konzentrieren, was man gerade tut, den Augenblick − etwa beim Einkaufen, Essen oder im Kontakt mit Kollegen oder Vorgesetzten. In meinen Vorträgen berichten Mitarbeiter und Führungskräfte, dass sie durch Achtsamkeits- oder Meditationsübungen gelassener mit Druck umgehen können, weil sie lernen, die eigene Aufmerksamkeit entsprechend günstig zu fokussieren.
Welche Rolle spielt Meditation in Ihrem Leben?
Silke Panzau: Meditation mit klassischen Übungen liegt mir nicht. Aber ich nehme mir Zeit für mich selbst, halte regelmäßig inne, fokussiere meine Aufmerksamkeit auf mich und mein Leben. Es fühlt sich wunderbar an, in die Natur zu gehen und dabei das Handy zu Hause zu lassen.