#PsychischeBelastungen

"Corona hat mein Team gesprengt"

inForm 02/2022

"Corona hat mein Team gesprengt"

Die Corona-Krise hat viel verändert, auch in der Arbeitswelt.
Kontroverse Diskussionen über die Notwendigkeit der Impfungen, die Auswirkungen der psychischen Belastungen und der sozialen Isolierung sorgen für Zündstoff in der Zusammenarbeit. Wie gelingt Führungskräften in dieser schwierigen Situation ein guter Umgang mit Impfverweigerern und Corona-Leugnern?

Die Arbeit mit der Führungskraft

In den Coachinggesprächen mit der Führungskraft galt es also auch, herauszuarbeiten, was ihr Anteil an der aktuellen Situation war. Es stellte sich heraus, dass sie die Strategie hatte, sich möglichst wenig in die Kontroversen zu dem Thema Corona einzumischen, und wenn, dann eher schlichtend. Sie hatte die Befürchtung, die Meinungsverschiedenheiten zu dem Thema anzuheizen, wenn sie sich einbringe oder positioniere.

Meine Erfahrungen der letzten Jahre zeigen etwas anderes. Nämlich, wie wichtig es speziell bei dem konfliktträchtigen Thema Corona ist, klare und sachliche Anweisungen zu geben. Damit ist keine inhaltliche Positionierung gemeint, sondern die eindeutige Kommunikation der gesetzlichen und/oder betrieblich geltenden Vorgaben. Allen Teammitgliedern muss klar sein, dass diese Vorgaben ein-zuhalten sind, dass es so etwas wie ein Direktionsrecht gibt und dass persönliche Meinungen dabei keine Rolle spielen.

Dabei ist es unverzichtbar, dass neben dieser Klarheit über die geltenden Vorgaben ein ehrliches Interesse an dem Erleben des anderen steht. Menschen wollen wertgeschätzt, gesehen und verstanden werden. Auch sogenannte Impfgegner oder Corona-Leugner. Bei dem, was mir die Führungskraft erzählte, scheinen bei den Teammitgliedern fundamentale Werte aufeinanderzutreffen: Auf der einen Seite steht anscheinend ein starker Wunsch nach Freiheit und Selbstbestimmung. Auf der anderen ein starker Wunsch nach Gleichberechtigung und Sicherheit. Egal, welche Haltung ich zu dem Thema Impfen habe.

Dass Menschen ihre Werte verteidigen, wenn sie diese bedroht sehen, können die meisten nachvollziehen. Was auch manchmal vergessen wird: Wir können jemandem zuhören, können Verständnis und Interesse zeigen, ohne dessen Meinung übernehmen zu müssen. Nach meiner Erfahrung sind Führungskräfte gut beraten, das zu versuchen. Somit ist beides gleich wichtig: klare Vorgaben und ehrliches, wertschätzendes Interesse.

Impulse für das Team

In meinem Beispiel sollte auch das Team in einem Workshop an seinen Themen arbeiten. Hier ist es oft sinnvoll, erst einmal die vorhandenen Grundhaltungen gegenüber Konflikten und Meinungsverschiedenheiten zu hinterfragen. Konflikte am Arbeitsplatz sind normal. Sie sind unvermeidbar und auch wichtig, wenn ein Team wachsen und sich entwickeln will. Ein Konflikt entsteht, wenn unterschiedliche Meinungen und Interessen aufeinandertreffen.

Das passiert in einem Team natürlich ständig! Und das ist auch gut so. Daran wachsen wir, dadurch entwickeln sich Teams. Ein Beispiel: Für einen gemeinsamen Akquisetermin möchte Kollege A, wie das schon immer gemacht wurde, die Dienstleistungen mit einer PPT-Präsentation vor-stellen. Die Kollegin B hält es für klüger, flexibel und offen ins Gespräch mit dem Kunden zu gehen, und möchte keine Präsentation verwenden. Hier trifft ein Sicherheitsbedürfnis auf ein Freiheitsbedürfnis.

Nach einigen Diskussionen und Auseinandersetzungen zwischen den Kolleg*innen wurde das Thema mit der Führungskraft besprochen. Den Beteiligten gelang es, die jeweils andere Sichtweise zu akzeptieren, und sie waren sich bewusst, dass sie das gleiche Ziel verfolgten. So war es möglich, die alte Gewohnheit sachlich zu hinterfragen und darüber zu diskutieren. Mittlerweile wird in diesem Team die Art der Präsentation davon abhängig gemacht, wie hoch man das Bedürfnis nach Struktur bei dem zu gewinnenden Kunden einschätzt. Eine tolle Entwicklung, die ohne die Auseinandersetzung der beiden Kolleg*innen nicht passiert wäre. Problematisch werden Meinungsverschiedenheiten also erst dann, wenn die Sichtweise des anderen nicht akzeptiert werden kann.


Konfliktmanagement erfolgreich gestalten

In Workshops möchten wir den Teammitgliedern also bewusst machen, dass man sich nicht auf eine bestimmte „Wahrheit“ einigen muss. Die gibt es selten. Teammitglieder müssen es aushalten können, dass jemand eine andere Wahrheit hat. Sie müssen verstehen, dass Konflikte etwas ganz Normales und sogar Wichtiges sind, über das man in eine konstruktive Auseinandersetzung gehen kann.

Das Gleiche gilt für Persönlichkeit und Charakter. Es gibt Millionen von Teams mit Millionen von Teammitgliedern. Da wird zwangsläufig nicht jeder jeden mögen. Dazu sind Menschen viel zu verschieden. Aber das braucht es ja auch nicht. Natürlich ist es schön und wertvoll, Kolleg*innen zu haben, mit denen man sich gut versteht. Menschen verbringen viel Zeit bei der Arbeit. Aber wir müssen uns bewusst machen, dass es auch immer die anderen geben wird. Nämlich die, die uns unsympathisch sind und denen wir unsympathisch sind. Warum auch immer. Das lässt sich nicht vermeiden.

Den Spagat müssen Teammitglieder hinkriegen: mit jemandem, den sie nicht mögen, professionell zusammenzuarbeiten sowie respektvoll und wertschätzend umzugehen. Die oben genannten Impulse in das Team zu geben, reicht natürlich nicht, um bereits lange existierende Konflikte verschwinden zu lassen. Das ist ein langer Prozess. Und in dem beschriebenen Fallbeispiel wird es auch Mediationsgespräche mit Einzelnen geben. Für mich hat es sich jedoch als wichtig für ein erfolgreiches Konfliktmanagement erwiesen, wenn diese Basis besteht und alle Beteiligten dem oben genannten Grundverständnis zu Konflikten und zur Sympathie zustimmen.

Kerstin Hillbrink, Diplom-Psychologin und BAD-Beraterin Gesundheitsmanagement, geht in ihrem Bericht diesen Fragen nach.

Anfang des Jahres ruft mich eine Führungskraft mit der Bitte um Unterstützung an: „Ich habe kein wirkliches Team mehr. Es wird kaum noch miteinander gesprochen, es gibt Konflikte, viele Krankmeldungen und kaum noch Zusammenarbeit. Ich glaube, Corona hat mein Team gesprengt.“

Ein starker Satz. In den letzten zwei Jahren habe ich des Öfteren gesehen, wie konfliktträchtig und spaltend das Thema Corona sein kann. Corona als Thema ist in der Tat ein explosives Gemisch.

In psychosozialen Einzelgesprächen höre ich manch-mal Vergleichbares: „Corona hat meine Beziehung kaputt gemacht“, „Corona hat mich depressiv gemacht“. Verständlich. Denn für viele Menschen brachte die Pandemie und die damit verbundenen Maßnahmen massive Einschränkungen in ihr Leben. Und doch ist meine erste Idee zu dieser Aussage, dass Phänomene wie Corona nicht die Ursache, sondern nur Auslöser oder Verstärker für bereits Vorhandenes sein können. Umgekehrt erzählen mir auch Führungskräfte, wie ihr Team durch die Krise zusammengewachsen sei. Dass es für alle eine wertvolle Erfahrung war, in der Krise Rückhalt und Unterstützung durch die Kolleg*innen erfahren zu haben.

Ein Virus wird also kein Team spalten, wenn vorher alles in Ordnung war. Wenn wertschätzend und unterstützend miteinander umgegangen wurde. Wenn offen und transparent kommuniziert wurde. Bei mit Corona verknüpften Problemen ist es daher sehr wichtig, auch den Blick auf das Vorher zu richten: Welche Ereignisse aus der Vergangenheit ha-ben Einfluss auf das, was heute passiert. Wie war die Teamkultur vor Corona? Welche (bisher außer Acht gelassenen?) Konflikte schwelen schon länger im Team? Wie war eigentlich die Kommunikation vor der Krise?

Der zweite Aspekt, der mir zu dem Satz „Corona hat mein Team gesprengt“ einfällt, ist die Frage nach der Verantwortung. Indem wir Corona als Ursache für Probleme im Team festmachen, sind erst einmal alle raus aus der Verantwortung für das, was gerade passiert. Das macht es zunächst ein-facher, führt aber natürlich nicht zu Veränderungen. Jeder der Beteiligten, alle Teammitglieder und die Führungskraft haben ihren Anteil an einem be-stehenden Problem oder Konflikt. Das, was ist, ist entstanden durch das Verhalten der einzelnen Teammitglieder und der Führungskraft. Durch die Art, wie sie miteinander kommuniziert haben. Durch die Art, wie sie aufeinander reagiert haben. Es ist wichtig, das jedem bewusst zu machen.

In der weiteren Arbeit mit oben erwähnter Führungskraft erfuhr ich: In ihrem Team gab es zwei von elf Mitarbeiter*innen, die strikt gegen das Impfen waren und Zweifel äußerten, ob der Virus wirklich existiere. Es kam zu heftigen Diskussionen über die Themen. Die Geimpften ärgerten sich über den Impfunwillen der Kolleg*innen, die Ungeimpften ärgerten sich über den auf sie ausgeübten Druck. Am Ende sprach man nicht mehr mit-, sondern nur noch übereinander. Es gab Frust, Ärger und schlechte Laune. Mittlerweile, so die Führungskraft, sei auch die Krankheitsrate gestiegen, und die Stimmung im Team sei „einfach mies“.
Ich finde, dass auch die Verwendung des Begriffs „Team“ von Verantwortlichkeiten ablenken kann. Wir reden von Teamkonflikten oder Teamstimmung und vergessen, dass etwas Abstraktes wie ein Team keine Konflikte eigenständig konstruieren kann.

Es sind einzelne Menschen, die die Kultur, die Stimmung und ggf. auch Konflikte gestalten. „Team“ ist ein konstruierter Arbeitsbegriff. Wie oben schon erwähnt, wird die Art der Zusammenarbeit von den Menschen und deren Handlungen bzw. Kommunikation bestimmt. Von jedem einzelnen Teammitglied und der Führungskraft.

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