Wirbelsäulenerkrankungen

Unter Wirbelsäulenerkrankungen werden alle Krankheiten verstanden, die das knöcherne Achsenorgan des Menschen, die Wirbelsäule, (Abbildung) bestehend aus den Bandscheiben und den knöchernen Wirbelkörpern, betreffen. Man unterscheidet zwischen Erkrankungen der Lenden-, Brust- und Halswirbelsäule. Wirbelsäulenerkrankungen kommen in allen Altersgruppen, sozialen Schichten und Berufsgruppen vor. Neben akuten Verletzungen durch äußere Krafteinwirkung, z. B. durch Aufprall auf die Wirbelsäule bei einem Sturz oder durch Einwirkung von hohen Beschleunigungskräften bei einem Autounfall (Schleudertrauma), sind die degenerativen (altersbedingten) Erkrankungen der Wirbelsäule von besonderer Bedeutung.

Die Bandscheibe bei Wirbelsäulenerkrankungen

Die degenerativen Erkrankungen der Wirbelsäule betreffen am häufigsten die Bandscheiben (Abbildung). Durch Flüssigkeitsverlust aus dem elastischen Kern der Bandscheibe und des ihn umgebenden Gewebes nimmt die Bandscheibe an Höhe ab, der Faserring der Bandscheibe verliert an Festigkeit und Elastizität und wird dadurch spröde und brüchig. Die auf die Bandscheiben und Wirbelkörper wirkenden Zug-, Druck- und anderen Kräfte können nicht mehr wirksam abgefangen und gedämpft werden.

Fortgeschrittene Degeneration bei Wirbelsäulenerkrankungen

Bei fortgeschrittener Degeneration kann sich bei ungünstigen Bewegungen oder beim Heben und Tragen von Lasten die zähflüssige Masse des Gallertkernes so weit verschieben, dass sie von innen einen so großen Druck auf den Faserring ausübt, dass sich dieser vorwölbt und Druck auf das Rückenmark oder seitliche Nervenstränge verursachen kann. Ein solcher Vorgang wird als Bandscheibenvorwölbung (Bandscheiben-Protrusion) bezeichnet. Tritt auf Grund von Aufbrüchen im Faserring sogar Gallertmasse aus, spricht man von einem Bandscheibenvorfall (Abbildung) (Bandscheiben-Prolaps). Diese Veränderungen können die Ursache für vielfältige, zum Teil ausstrahlende Schmerzen, neurologische Störungen oder sogar Lähmungen sein. Epidemiologische Untersuchungen haben gezeigt, dass unter bestimmten Bedingungen zusätzliche und vorzeitige Abnutzungserscheinungen der Bandscheiben auftreten. Schädlich sind z. B. Fehlhaltungen des Körpers, hohe Kräfte beim Heben und Tragen von Lasten, intensive Ganzkörperschwingungen (Vibrationen) usw. Dies hat dazu geführt, dass mit der "Zweiten Verordnung zur Änderung der Berufskrankheiten-Verordnung" vom 18.12.1992 die Liste der Berufskrankheiten um die bandscheibenbedingten Erkrankungen der Wirbelsäule erweitert wurde.

Wirbelsäulenerkrankung als Berufskrankheit

Die Liste der Berufskrankheiten umfasst u.A. folgende bandscheibenbedingte Erkrankungen der Wirbelsäule:
  • Nr. 2107 "Abrissbrüche der Wirbelfortsätze"
  • Nr. 2108 "Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben und Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten geführt haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können"
  • Nr. 2109 "Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Halswirbelsäule durch langjähriges Tragen schwerer Lasten auf der Schulter, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten geführt haben, die..."
  • Nr. 2110 "Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjährige, vorwiegend vertikale Einwirkung von Ganzkörperschwingungen im Sitzen, die für die Entstehung, die ..."
Hauptursache für Abrissbrüche von Wirbelfortsätzen sind Tätigkeiten mit andauernder Belastung durch Schaufelarbeit. Deshalb wird diese Wirbelsäulenerkrankung auch als "Schipperkrankheit" bezeichnet. Darüber hinaus sind Fälle bekannt, bei denen durch häufig auftretende extrem hohe, insbesondere horizontal wirkende Beschleunigungskräfte, wie sie beim Fahren von Erdbaumaschinen (Radladern / Raddozern) in ungünstigem Gelände auftreten können, ein solches Krankheitsbild entstanden ist. Abrissbrüche von Wirbelfortsätzen sind jedoch relativ selten.

Gefahrenquelle für Wirbelsäulenerkrankungen

Als Gefahrenquellen für das Auftreten von belastungsabhängigen bandscheibenbedingten Erkrankungen der Lendenwirbelsäule (BK-Nr. 2108) werden langjährige Tätigkeiten mit fortgesetztem Heben, Tragen und Absetzen schwerer Lasten und häufiges Arbeiten in extremer Rumpfbeugehaltung angesehen. Als zusätzliches Gefährdungspotenzial gilt eine verdrehte Körperhaltung bei der Arbeit. Typisch sind solche Belastungen für folgende Berufsgruppen:
  • Bergleute im Untertagebau, Maurer, Steinsetzer und Stahlbetonbauer
  • Schauerleute, Möbel-, Kohle-, Fleisch- und andere Lastenträger
  • Landwirte, Fischer und Waldarbeiter
  • Beschäftigte in der Kranken-, Alten- und Behindertenpflege
  • sonstige Tätigkeiten mit gleichartigem Belastungsprofil.
Unter Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung werden Arbeiten in Arbeitsräumen verstanden, die niedriger als 100 cm sind und eine ständig gebeugte Körperhaltung erzwingen, oder wenn für die Tätigkeiten eine längere Rumpfbeugung von mehr als 90° notwendig ist.

Gefährdung der Lendenwirbelsäule

Von einer Gefährdung der Lendenwirbelsäule durch vorwiegend vertikale mechanische Ganzkörperschwingungen (BK-Nr. 2110) kann ausgegangen werden, wenn diese mit entsprechender Intensität über das Gesäß in sitzender Körperhaltung auf den Menschen einwirken. Das gesundheitliche Risiko steigt mit ansteigender Schwingungsbelastung und zunehmender Expositionsdauer an. Nach VDI 2057 Bl. 1 (2002) ist bei Beurteilungsbeschleunigungen (Tagesdosis) oberhalb von a~wz(8) = 0,45 m/s^2 eine Gefährdung möglich. Bei Beurteilungsbeschleunigungen oberhalb von a~wz(8) = 0,8 m/s^2 ist mit einer deutlichen Gefährdung zu rechnen. Derartigen Belastungen können vor allem Fahrer von folgenden Fahrzeugen und Arbeitsmaschinen ausgesetzt sein:
  • Lastkraftwagen auf Baustellen
  • land- und forstwirtschaftliche Schlepper und Forstmaschinen im Gelände
  • Erdbaumaschinen wie Bagger, Grader, Scraper, Muldenkipper, Kettenlader, Raddozer
  • Gabelstapler auf unebenen Fahrbahnen.
Für Fahrer von Taxis, Omnibussen, Baggern in stationärem Einsatz, Gabelstaplern auf ebenen Fahrbahnen sowie von Lastkraftwagen mit schwingungsgedämpften Fahrersitzen sind keine hinreichend gesicherten gesundheitsschädigenden Auswirkungen von Schwingungen auf die Lendenwirbelsäule nachgewiesen worden.

Gefährdung der Halswirbelsäule

Als Gefährdung der Halswirbelsäule (BK-Nr. 2109) wird eine intensive mechanische Belastung, einhergehend mit einer außergewöhnlichen Zwangshaltung der Halswirbelsäule und einer statischen Belastung der Wirbelgelenke angesehen. Eine derartige kombinierte Belastung tritt z. B. bei Fleischträgern auf, die Tierhälften mit Gewichten von 500 N und mehr auf dem Kopf oder der Schulter tragen. Als Mindestvoraussetzung für die Annahme eines begründeten Verdachtes für das Vorliegen einer belastungsabhängigen bandscheibenbedingten Erkrankung gelten folgende Kriterien:
  • nachweisbare degenerative Veränderungen mit chronisch-rezidivierenden Beschwerden und Funktionsausfällen
  • mit gewisser Regelmäßigkeit und Häufigkeit vorliegende Belastung durch Heben und Tragen von schweren Lasten oder durch Ganzkörperschwingungen
  • mindestens zehnjährige Tätigkeit.
Die Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit ist nicht Voraussetzung für die Anzeige als Berufskrankheit.

Begutachtungspraxis der Wirbelsäulen-Berufskrankheiten

Da in der Begutachtungspraxis der Wirbelsäulen-Berufskrankheiten immer wieder Unstimmigkeiten auftraten, wurden von einer interdisziplinären Arbeitsgruppe Kriterien entwickelt, die die einheitliche Beurteilung der Wirbelsäulenschäden verbessern sollen.

Präventionsmaßnahmen zum Schutz der Wirbelsäule

Präventionsmaßnahmen zum Schutz der Wirbelsäule können technischer Art sein wie die optimale ergonomische Gestaltung von Arbeitsplätzen und Produkten sowie die Verwendung von Hebe- und Tragehilfen. Für die Verminderung von Ganzkörperschwingungen sind insbesondere gefederte Fahrersitze geeignet. An den Arbeitsplätzen, an denen keine technischen Möglichkeiten zur Vermeidung der Belastung bestehen, sollte durch arbeitsorganisatorische Maßnahmen eine Reduzierung der täglichen Expositionsdauer erreicht werden. Persönliche Präventionsmaßnahmen beziehen sich auf richtige Verhaltensweisen. So kann durch eine günstige Hebetechnik die direkte Belastung der Wirbelsäule gemindert werden.

Quellen

www.arbeit-und-gesundheit.de