Risiko

Es gibt keinen einheitlichen Risikobegriff und keine in sich geschlossene Theorie, die alle vorliegenden Erkenntnisse integrieren könnte. Je nach Perspektive und Fragestellung wird unter Risiko etwas anderes verstanden. Die Begrifflichkeiten, Konzepte und Modelle unterscheiden sich zum Teil sehr deutlich.

Dennoch gibt es einen kleinsten gemeinsamen Nenner. Allgemein spricht man von Risiko, wenn die Möglichkeit eines Schadens oder Verlustes besteht, der die Folge eines Ereignisses oder einer Handlung ist. Der Begriff Risiko schließt zwei Komponenten ein. Zum einen die Unsicherheit bezüglich eines zukünftigen Zustands oder Ereignisses, zum zweiten einen Schaden, Verlust oder Nachteil als Folge dieses Ereignisses oder Zustands. Risiko ist also typischerweise dadurch gekennzeichnet, dass man nicht weiß, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein bestimmtes Ereignis in der Zukunft eintreten wird. Man weiß ebenso nicht, welchen Schaden (Art und Umfang) das Ereignis bewirken wird.

Wann spricht man von Risiko?

Oft spricht man nur dann von Risiko, wenn das Schaden bewirkende Ereignis eine Folge menschlicher Entscheidungen, Handlungen oder auch Unterlassungen ist. Naturereignisse wie Erdbeben, Meteoriteneinschläge, Überschwemmungen usw. sind in dieser Sichtweise nicht dem Risikobereich zuzurechnen. Hier ließe sich natürlich argumentieren, dass auch solche Phänomene von menschlichen Aktivitäten abhängen können (z. B. Klima) und auch die Schadenshöhe durch menschliches Tun oder Unterlassen direkt mitbestimmt werden kann. Man hätte ja erdbebensichere Gebäude errichten können oder in erdbebengefährdeten Gebieten erst gar nicht siedeln müssen.

Im Zuge der Entwicklung neuer Technologien, Verfahrensweisen und Bedrohungen (z. B. Kernenergie, Gentechnologie, Treibhauseffekt) hat die Beschäftigung mit Risiko in der öffentlichen Diskussion und in der Wissenschaft enorm zugenommen. Anders als bei traditionellen Risiken sind mögliche Schäden jetzt nicht mehr räumlich eng eingrenzbar (z. B. Kernenergie) und sie können weit in die Zukunft hinein wirken (z. B. Gentechnologie). In den letzten Jahrzehnten hat sich ein eigener Forschungszweig entwickelt, der sich aus verschiedenen Perspektiven mit unterschiedlichen Fragestellungen und Methoden mit Risiken befasst.

Drei Sichtweisen von Risiko

Innerhalb der Risikoforschung lassen sich grob drei Sichtweisen des Risikos voneinander abgrenzen.

Psychologisch-kognitiv orientierte Ansätze gehen u. a. davon aus, dass es kein reales Objekt Risiko gibt, das mit den Sinnesorganen wahrnehmbar ist. Vielmehr ist Risiko eine Eigenschaft, die der Mensch durch seine Wahrnehmungs-, Denk- und Beurteilungsprozesse irgendwelchen Objekten, Situationen, Ereignissen oder Handlungen zuschreibt. Diese Zuschreibungsprozesse sind Gegenstand des Interesses. Es wird z. B. untersucht, was Menschen meinen, wenn sie von Risiko reden, wie sie in einer bestimmten Situation das Risiko bewerten, was sie für riskant und weniger riskant halten und wovon diese Bewertung abhängt. Nach den Befunden werden beispielsweise freiwillig eingegangene Risiken für geringer gehalten als von außen aufgetragene. Risiken, die man kontrollieren zu können glaubt (z. B. Autofahren), werden eher akzeptiert als Risiken, denen man sich ausgeliefert fühlt. Damit ist erklärbar, warum sich jemand z. B. Sorgen um Pestizide im Joghurt macht, gleichzeitig aber bereitwillig rauchenderweise mit 200 km/h die Autobahn befährt.

Die psychologisch-kognitive Forschungsrichtung befasst sich auch sehr intensiv mit dem Verhalten in Entscheidungssituationen, in denen mehrere Optionen mit jeweils unsicheren Ausgängen bestehen. Die entwickelten Modellvorstellungen beinhalten u. a. die Größe Risikobereitschaft. Menschen unterscheiden sich in ihrer Bereitschaft, Risiken einzugehen. Außerdem kann die Risikobereitschaft innerhalb einer Person von Situation zu Situation durchaus variieren.

Bei soziologisch orientierten Ansätzen stehen nicht Risikowahrnehmung, -beurteilung und -verhalten des einzelnen Menschen im Mittelpunkt. Stattdessen wird untersucht, welche Meinungen in der Bevölkerung und in Bevölkerungsgruppen zu Risiken bestehen, wie die Meinungsbildung erfolgt und wodurch sich in der Gesellschaft Kontroverse und Konsens in Risikofragen entwickeln können. Risiken sind keine objektiven Tatbestände, vielmehr sind sie durch soziale Kommunikationsprozesse bestimmt. Diese sind Untersuchungsgegenstand. Dabei wird u. a. der Frage nachgegangen, von welchen gesellschaftlichen Prozessen und Faktoren (z. B. öffentliche Meinung) Wahrnehmung und Bewertung von Risiken abhängen.

Der einzelne Mensch kann die verschiedenen Risiken und möglichen Nutzen nicht mehr selbst unmittelbar wahrnehmen. Daher ist - nach dem soziologischen Ansatz - seine Risikoeinschätzung und -akzeptanz weniger durch individuelle Wahrnehmungs- und Bewertungsfaktoren gesteuert, sondern vielmehr abhängig von gesellschaftlichen und politischen Werten, von gesellschaftlichen Leitbildern für die Zukunft oder der Glaubwürdigkeit von Institutionen.

Diesen beiden Ansätzen lässt sich die formal-normative Betrachtungsweise von Risiko gegenüberstellen. Sie versucht, ein für die verschiedenen Risiken gültiges Maß zu finden. Verschiedene Risiken sollen miteinander verglichen werden können. Der Ansatz hat seine Wurzeln in der Versicherungsmathematik: Risiko ist das Produkt aus der Wahrscheinlichkeit des Schadensereignisses und der Schadenshöhe (R = W x S).

Eine Schwierigkeit dieses Ansatzes zeigt sich bei der Risikoabschätzung neuer Technologien (z. B. Freilandversuche mit gentechnisch manipulierten Pflanzen). Wenn man aus der Vergangenheit keine Statistiken über Schadenshäufigkeit und -schwere hat und auch nicht über Erfahrungen mit verwandten, ähnlichen Technologien verfügt, wie will man dann das Risiko berechnen? Außerdem ist umstritten, was alles als Schaden zu gelten hat (Nur der unmittelbare Schaden oder auch weitere Folgeschäden? Auch der entgangene Nutzen?).

Schließlich macht es offensichtlich einen Unterschied, ob bei einem Ereignis 100 Menschen zu Tode kommen (Flugzeugabsturz) oder bei 100 Ereignissen jeweils ein Mensch (Verkehrsunfälle). Rein rechnerisch ist das Risiko gleich hoch, nicht aber in den Augen der Öffentlichkeit (z. B. Berichterstattung in den öffentlichen Medien) und in der Wahrnehmung des Einzelnen.

Risiko in der Sicherheitstechnik

Die Risikothematik spielt natürlich auch in der Sicherheitstechnik bzw. im Zusammenhang mit Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit eine große Rolle. Das hier verwendete Risikokonzept ist angelehnt an die formal-normative Sichtweise. Der Ansatz wurde allerdings modifiziert und für das Anwendungsgebiet konkretisiert. Risiko wird als Kombination aus den Wahrscheinlichkeiten des Schadenseintritts und des Schadensumfangs (z. B. Personen-, Sach- und Umweltschäden) definiert. Zu den Personenschäden zählen auch Krankheiten und sonstige Beeinträchtigungen der Gesundheit, nicht nur Unfallfolgen. Auf die mathematische Verknüpfung von Wahrscheinlichkeit und Schwere wird meist verzichtet. Auftretenswahrscheinlichkeit und Schwere lassen sich meist nur qualitativ angeben, da exakte Zahlenangaben nicht zu ermitteln sind.

Es kommt nun in der Sicherheitstechnik und im Arbeitsschutz darauf an, Art und Ausmaß der Risiken von Maschinen und Arbeitssystemen zu ermitteln und gegebenenfalls Risikominderung zu erreichen. Denn nach dem Arbeitsschutzgesetz muss die Arbeit so gestaltet werden, dass Gefährdungen für Leben und Gesundheit der Beschäftigten möglichst vermieden werden.

In diesem Zusammenhang stellen sich folgende Fragen:

  • Was kann falsch laufen, wie wahrscheinlich ist das, welche Folgen hat es? Mit anderen Worten: Wie hoch sind die Risiken einzuschätzen?
  • Was bedeutet "möglichst vermieden werden"? In welchem Maße soll oder muss das bestehende Risiko vermindert werden? Welches "Restrisiko" soll noch verbleiben?

Der erste Fragenkomplex betrifft die so genannte Risikobeurteilung. Sie ist eine Voraussetzung für die Ableitung von Sicherheits- und Schutzmaßnahmen. Wie sollte man diese festlegen können, wenn nicht vorher sorgfältig in Augenschein genommen wurde, welche Schadensereignisse mit welchen Folgen mit etwa welcher Wahrscheinlichkeit auftreten können?

Bei der Risikobeurteilung kommt es darauf an, möglichst systematisch und umfassend vorzugehen, damit keine Aspekte des Risikos für Leben und Gesundheit der Beschäftigten übersehen und vergessen werden. Allein aus dem Nichtvorhandensein von Unfällen oder größeren Schäden kann nicht automatisch auf ein geringes Risiko geschlossen werden.

Die Risikobeurteilung (Abbildung) besteht aus einer Folge logischer Schritte. Sie sind in Leitsätzen beschrieben und in der Abbildung dargestellt (in Anlehnung an Merdian 1995 sowie DIN EN 1050).

Zuerst einmal muss die Betrachtungseinheit festgelegt werden. Worauf soll sich die Risikobeurteilung beziehen? Ist z. B. ein bestimmter Arbeitsplatz zu analysieren oder sollen alle Tätigkeiten eines Mitarbeiters an wechselnden Arbeitsplätzen (z. B. Montage) einer Risikobeurteilung unterzogen werden?

Danach müssen durch eine Gefährdungsanalyse alle Gefährdungen und Gefährdungssituationen identifiziert und eingeschätzt werden. Dazu können z. B. mechanische oder elektrische Gefährdungen gehören, aber auch Gefährdungen durch psychische Belastungen wie hoher Zeit- und Termindruck.

Unter einer Gefährdung ist die prinzipiell bestehende Möglichkeit zu verstehen, dass ein Schaden eintritt - ganz unabhängig davon, mit welcher Wahrscheinlichkeit er eintritt und wie schwer er ausfallen wird. Eine Gefährdung setzt eine Gefahrenquelle voraus. Diese wird zur Gefährdung erst durch die Möglichkeit, dass sich Gefahrenquelle und Mensch räumlich/zeitlich begegnen. So ist etwa Lärm allein, ohne dass Menschen anwesend sind, eine Gefahrenquelle, aber keine Gefährdung. Zur Gefährdung wird Lärm erst in dem Moment, in dem die Möglichkeit besteht, dass ihm Menschen ausgesetzt sind.

Im dritten Schritt (Risikoeinschätzung, manchmal spricht man auch von Risikoabschätzung) wird für jede Gefährdung das Risiko - und anschließend das Gesamt-Risiko - eingeschätzt: Anzugeben ist die Wahrscheinlichkeit des Schaden verursachenden Ereignisses sowie die Art und Schwere des möglichen Schadens. Diese Einschätzungen können meist nur qualitativ erfolgen.

In die Risikoeinschätzung geht auch die Häufigkeit ein, mit der Beschäftigte Gefährdungen ausgesetzt sind (Gefährdungsexposition).

Für verschiedene Anwendungsfälle stehen standardisierte Verfahren der Risikoeinschätzung zur Verfügung, so z. B. die Fehlermöglichkeiten- und -effektanalyse (FMEA) und die Fehlerbaumanalyse (FTA) (DIN EN 1050).

Nachdem das Risiko eingeschätzt wurde, muss nun im vierten Schritt die Entscheidung getroffen werden, ob eine Risikoverminderung erforderlich ist. Die erarbeitete Risikoeinschätzung ist also zu bewerten (Risikobewertung), und zwar danach, ob das bestehende Risiko so belassen bleiben soll. Mit anderen Worten: Das bestehende Risiko ist mit einer Vergleichsgröße in Beziehung zu setzen. Diese Vergleichsgröße nennt man auch Grenzrisiko. Dies ist das höchste Risiko, das noch akzeptiert wird.

Ist das bestehende Risiko kleiner als das Grenzrisiko, dann liegt per definitionem "Sicherheit" vor (Abbildung). Trotz "Sicherheit" verbleibt aber ein gewisses Risiko (das so genannte Restrisiko). Im Restrisiko drückt sich die alte Ingenieursweisheit aus, dass es absolute Sicherheit technischer Systeme nicht gibt.

Ist das bestehende Risiko hingegen größer als das Grenzrisiko besteht "Gefahr". Es müssen Maßnahmen zur Risikoverminderung ergriffen werden (z. B. vollständige Beseitigung von Gefährdungen, Verwendung geeigneter Schutzeinrichtungen). Nach Durchführung dieser Maßnahmen ist durch eine erneute Risikobeurteilung zu prüfen, ob das Grenzrisiko jetzt unterschritten wird. Ist dies nicht der Fall, dann muss durch zusätzliche Bemühungen das Risiko weiter verringert werden, und zwar mindestens bis zum Grenzrisiko (notwendige Risikoverminderung), besser jedoch unterhalb des Grenzrisikos (tatsächliche Risikoverminderung).

Das Erreichen oder Unterschreiten des Grenzrisikos darf aber nicht zur Untätigkeit führen. Denn nach dem Arbeitsschutzgesetz bleibt der Arbeitgeber weiterhin verpflichtet, durch ständige Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes eine Verminderung des Restrisikos für die Beschäftigten anzustreben. Außerdem müssen beim Vorhandensein von "Sicherheit" Maßnahmen getroffen werden, den sicheren Zustand zu erhalten.

Für die Beurteilung, ob "Sicherheit" oder "Nicht-Sicherheit" (= Gefahr) vorliegt, ist von entscheidender Bedeutung, wo das Grenzrisiko angesiedelt ist. Damit ist der zweite Fragenkomplex angesprochen. Welches Risiko soll noch akzeptabel sein und wer legt es fest?

Das Grenzrisiko stellt eine Art von Kompromiss dar, sei es zwischen verschiedenen Interessengruppen, zwischen Nutzen und Kosten, zwischen Aufwand und Ertrag. Im Grenzrisiko drücken sich immer auch in der Gesellschaft bestehende Risikoauffassungen und -akzeptanzen aus. Es ist historischen Veränderungsprozessen unterworfen und abhängig von kulturellen, politischen und technischen Entwicklungen.

Dieser Kompromiss liegt in Form von sicherheitstechnischen Festlegungen, Gesetzen, Rechtsverordnungen und sonstigen staatlichen Anordnungen vor und vor allem in Gestalt der Regeln der Technik. Sie zusammen verkörpern das Grenzrisiko und bilden die Vergleichsgröße, mit der das bei der Risikobeurteilung ermittelte Risiko verglichen wird.


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