Präsentismus

Das Phänomen des Präsentismus hat stark an Aufmerksamkeit gewonnnen, weil der Krankenstand gesetzlich versicherter Arbeitnehmer in Deutschland seit mehr als zehn Jahren kontinuierlich rückläufig ist. Erklärt wird der sinkende Krankenstand mit einer verbesserten Prävention, dem tendenziellen Rückgang von Tätigkeiten mit schweren körperlichen Belastungen und der Verdrängung von Arbeitnehmern mit gesundheitlichen Risiken aus dem Erwerbsleben. Auch der Präsentismus wird immer häufiger angeführt, um den Rückgang des Krankenstands zu erklären. In einer Analyse des wissenschaftlichen Instituts der Ortskrankenkassen (WidO) aus dem Jahr 2004 haben 71 % der Arbeitnehmer angegeben, im Vorjahr auch dann zur Arbeit gegangen zu sein, wenn sie sich sehr krank gefühlt hatten. Ähnliche Ergebnisse finden sich in einer repräsentativen Umfrage bei schwedischen Arbeitnehmern aus dem Jahr 2000. Bei schweren akuten Erkrankungen ist Präsentismus unwahrscheinlich. Es können hier nur minder schwere Krankheitssymptome eine Rolle spielen. So zeigen verschiedene Analysen, dass der Präsentismus in Verbindung steht mit psychischen Erkrankungen, Erkrankungen mit chronischen Schmerzen und wiederkehrenden Erkrankungen wie Allergien, Asthma und Magen-Darm-Erkrankungen. Gerade bei den psychischen und psychosomatischen Erkrankungen ist eine Zunahme zu beobachten. Das wissenschaftliche Institut der AOK schätzt, dass von 1994 bis 2004 psychische Erkrankungen um 74 % zugenommen haben. Diese Zunahme kann zum Teil, aber nicht vollständig mit einer verbesserten Diagnostik bei psychischen Erkrankungen erklärt werden. Zusätzlich gibt es empirische Hinweise dafür, dass die fehlende Akzeptanz dieser Erkrankungen im Umfeld der Betroffenen dafür verantwortlich ist, dass die Betroffenen der Arbeit nicht fernbleiben. Für die Zunahme psychischer Erkrankungen sind die verstärkt auftretenden psychischen Fehlbelastungen möglicherweise mitverantwortlich, während gleichzeitig traditionelle Belastungen wie Lärm, Klima und Zwangshaltungen an Bedeutung verlieren. In Zeiten hoher Arbeitslosigkeit und wirtschaftlichen Wandels kann die Arbeitsplatzunsicherheit zu einer weiteren psychischen Fehlbelastung werden. Ob eine psychische Fehlbelastung tatsächlich krank macht, ist jedoch auch von den persönlichen Ressourcen abhängig. Diese bestimmen maßgeblich mit, wie der Betroffene psychische Fehlbelastungen und Arbeitsplatzunsicherheit bewältigt. Empirische Studien zeigen, dass eine als sinnvoll erlebte und anerkannte Arbeit die persönlichen Ressourcen stärkt. Der Verzicht der Betroffenen auf eine adäquate Behandlung ihrer Erkrankung kann negative Folgen für ihre Gesundheit, die Produktivität der Unternehmen und die Arbeitssicherheit haben. Nicht behandelte Depressionen etwa steigern das Risiko für koronare Herzkrankheiten und Herzinfarkte um das 1,7- bis 2,1fache. Der Präsentismus spart dem Unternehmen zwar die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, abhängig von der Schwere der Erkrankung kann jedoch die Leistung (Qualität und Menge) negativ beeinflusst und damit das Risiko für Arbeitsunfälle erhöht werden. Empirische Belege für einen Zusammenhang zwischen Unfallhäufigkeit und Präsentismus liegen jedoch bisher nicht vor.

Quellen

www.arbeit-und-gesundheit.de