Gefahrenbewusstsein

Gefahrenbewusstsein, also das Wissen über mögliche Einwirkungen, die den Menschen schädigen können, ist eine wesentliche Voraussetzung für sicheres Verhalten. Jedes Gefahrenbewusstsein ist subjektiv unterschiedlich empfundenes Erleben und abhängig von der Persönlichkeit des Einzelnen. Ein Teilaspekt des Gefahrenbewusstseins ist die Gefährdungseinschätzung: das Bewusstsein über eine ganz spezifische, abgrenzbare Gefahr. Von Gefährdung spricht man im Allgemeinen, wenn Gefahr und Mensch räumlich und zeitlich zusammentreffen.

Vor Beginn jeder Arbeit ist es erforderlich, sich über die möglichen Gefahren von Einrichtungen, Werkzeugen und Tätigkeiten Gedanken zu machen. Dies gilt für Führungskräfte (Verantwortung) ebenso wie für Mitarbeiter. Wer die möglichen Folgen gefährlichen Handelns kennt, wird eher geneigt sein, auch belastende Sicherheitsregeln und Schutzmaßnahmen von Mitarbeitern zu fordern oder selbst einzuhalten. Eine sehr einfache, aber trotzdem wirksame Methode besteht darin, sich selbst zu fragen: "Was könnte in dieser Situation passieren?" Für komplexe Arbeitsvorgänge reicht diese Fragestellung nicht aus. Hier ist die Anwendung systemanalytischer Methoden erforderlich.

Unfallverhütungsvorschriften und andere Regelungen zum Arbeitsschutz (z. B. Gefahrstoffverordnung, Betriebssicherheitsverordnung) verlangen vom Unternehmer, dass er vor der ersten Ausführung einer gefahrgeneigten Tätigkeit die Beschäftigten anhand einer Betriebsanweisung über die in der Tätigkeit liegenden Gefahren und notwendigen Schutzmaßnahmen zu unterweisen hat. Damit wird der bekannten Anfangsgefährdung durch mangelndes Gefahrenbewusstsein aus Unkenntnis der Beschäftigten begegnet. Beschäftigte sind in der Lernphase einer Tätigkeit in wesentlich höherem Maße unfallgefährdet. In der Erstunterweisung wird das angemessene Gefahrenbewusstsein und damit die Einsicht in die Notwendigkeit der Einhaltung der Sicherheitsregeln geschaffen.

Sicherheit als Ergebnis gefahrenbewussten Verhaltens stellt sich häufig nicht in gewünschtem Ausmaß ein. Das hat verschiedene Gründe:

  • Verbreitet ist eine "Lust am Risiko", die auch im Freizeitverhalten vieler Menschen zum Ausdruck kommt. Sie suchen bewusst die Nähe zu Abenteuer und Gefahr und glauben dabei, das Risiko gerade noch "im Griff zu haben".
  • Mit dem Streben nach größtmöglicher Sicherheit ist nicht selten eine Einschränkung der Individualität und Spontaneität verbunden, die von vielen abgelehnt wird.
  • Durch ein hohes Maß an Sicherheitsanstrengungen kann man ungewollt ein "trügerisches Sicherheitsgefühl" erzeugen: "Mir kann nichts passieren, ich brauche schon nicht aufzupassen."
  • In Kenntnis des eigenen sicherheitswidrigen Verhaltens erwarten Menschen trotzdem nicht, dass ihnen ein Unfall passiert. Dies gilt selbst dort, wo mit hohem Risiko gearbeitet wird, d.h. ein schwerer Unfall mit hoher Wahrscheinlichkeit möglich ist. Für diese Haltung hat sich ein besonderer Begriff geprägt. Man spricht hier vom "Glauben an die eigene Unverletzbarkeit".
  • Im Laufe des Berufslebens stellt sich gewöhnlich ein sicherheitswidriges Gewohnheitsverhalten bei vielen Arbeiten ein, das durch das Ausbleiben von negativen Ereignissen (Unfällen, Betriebsstörungen, Handlungsfehlern) in immer geringerem Ausmaß als gefährlich angesehen wird. Man nennt in der Alltagssprache das Ergebnis dieses Prozesses zutreffend "Betriebsblindheit".

Gefahrenbewusstsein ist ein komplexes Ergebnis aus Kenntnis, Erfahrung und Häufigkeit erlebter gefährlicher Situationen. Ob ein solches Bewusstsein zum gewünschten Ziel, sicherem Verhalten, führt, ist situativ abhängig vom Beurteilungsvermögen des Einzelnen. Für das sichere Arbeiten eines Mitarbeiters ist es wichtig, dass er Anzeichen für Gefahren möglichst frühzeitig erkennen und auf Grund seiner Erfahrung und seines Wissens gefährliche Zustände und Prozesse situationsgerecht beurteilen kann. Der Mitarbeiter muss u. a. in der Lage sein,

  • gefährliche Zustände zu beurteilen
  • betriebliche Verhältnisse und Prozesse vorherzusehen und zu beurteilen
  • Informationen über Gefahren und Gefahrensignale richtig einzuschätzen.

Um in gefährlichen Situationen bewusst und sicher handeln zu können, müssen Gefahrensignale wahrnehmbar sein und beachtet werden. Gefahrenbewusstsein kann nur wirksam werden, wenn sich das Wissen um Gefahren mit dem Wahrnehmen und Erkennen von Hinweisreizen für Gefahren verbindet.

Das Erkennen und Handeln (Abbildung) in gefährlichen Situationen verlangt auf unterschiedlichen Ebenen spezifische Verhaltensweisen, um eine Gefährdung zu vermeiden. Das Gefahrenbewusstsein überlagert dabei den gesamten Verhaltensprozess.

Bei der Gefährdungseinschätzung von Tätigkeiten stehen die subjektiven Sichtweisen der Befragten im Mittelpunkt. Es wird danach gefragt, was vom Einzelnen als gefährlich und kritisch angesehen wird.

Das Bewusstsein von Menschen über eine ganz spezifische, abgrenzbare Gefahr lässt sich in der Regel hinreichend verlässlich ermitteln. Dies bestätigen z. B. einige Feldstudien der Arbeitssicherheitspsychologie, die wichtige Erkenntnisse über die Gefährdungseinschätzung liefern:

  • Die Gefährlichkeit von Tätigkeiten bzw. von Werkzeugen, Hilfsmitteln und Einsatzstoffen (z. B. Chemikalien) werden häufig überschätzt bzw. unterschätzt. Die Unterschätzung von Gefährdungen ist eine wesentliche Ursache sicherheitswidrigen Handelns.
  • Führungskräfte und Mitarbeiter haben vielfach eine unterschiedliche Einschätzung über Gefährdungen. Je nach betrieblicher Aufgabenstellung können ganz verschiedene Reaktionen die Folge sein:

Unterschätzt ein Mitarbeiter die Gefährlichkeit einer Tätigkeit, handelt er eventuell sorglos, unvorsichtig und hält Sicherheitsregeln nicht ein.

Unterschätzt eine Führungskraft die Gefährlichkeit einer Tätigkeit, kontrolliert und korrigiert sie den betreffenden Mitarbeiter vielleicht zu selten oder übergeht die Tätigkeit in Unterweisungen.

Ergebnisse von Feldstudien führen oft zu spezifischen Maßnahmen, um das Gefahrenbewusstsein der Beschäftigten anzuheben. Tätigkeiten, die unterschätzt werden, finden dabei die besondere Aufmerksamkeit bei der Analyse der Gefährdungen im Betrieb und bei Betriebsanweisungen und Unterweisungen der Mitarbeiter. Besonders erfolgreich sind solche Maßnahmen dann, wenn die Mitarbeiter aktiv beteiligt werden. In diesen Fällen konnten sowohl signifikante Veränderungen der Gefährdungseinschätzungen als auch eine Steigerung des Sicherheits- bzw. Gefahrenbewusstseins nachgewiesen werden.

Ein bestimmender Faktor für angemessenes Verhalten bei vorhandenem Gefahrenbewusstsein ist die Risikoeinschätzung. Sowohl im Berufs- als auch im Privatleben steht einem sicheren und/oder gesundheitsbewussten Verhalten häufig eher ein risikobereites Verhalten (Motto: No Risk - No Fun) als fehlendes Bewusstsein für Gefahren im Weg.


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Quellen

www.arbeit-und-gesundheit.de