Was ist das Besondere an MEHRWERT:PFLEGE?

 Stefanie Thees: Herausragend ist die systemische Organisationsberatung, die dem zugrunde liegt: Treten in Organisationen Störungen auf, hilft dieser Ansatz, das gesamte System zu stabilisieren und weiterzuentwickeln. Ein Beispiel kann die Veränderung von Arbeitsprozessen sein. MEHRWERT:PFLEGE bietet individuelle verhaltenspräventive Maßnahmen, etwa zu den Themen Bewegung, Ernährung, Stressmanagement oder Sucht. Der Schwerpunkt liegt aber in den Arbeitsbedingungen, der sogenannten Verhältnisprävention: Wie machen wir Arbeit gesund? Im Kern geht es um langfristig nachhaltige Strukturveränderungen, die das Arbeitshandeln und den Arbeitsalltag positiv beeinflussen. In diesem Zusammenhang ist der Dienstplan einfach der größere Stressor. Maßnahmen wie die Durchführung eines Gesundheitstages oder das Angebot eines Yogakurses sind niedrigschwelliger und dienen eher als „quick wins” zur Sensibilisierung für das Thema Gesundheitsförderung.


 Wie wird das Projekt angenommen?

 Stefanie Thees: Wir haben große Resonanz von Einrichtungen erhalten, die erkannt haben, dass gesunde Arbeitsbedingungen eine wichtige Stellschraube sind, um Mitarbeiter*innen zu binden und zu gewinnen. Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) ist in puncto Arbeitgeberattraktivität ein wichtiger Schlüssel. Letztendlich setzt dieses Verständnis aber eine gewisse Organisationsreife voraus, die noch nicht alle Organisationen haben. Unsere Aufgabe ist es, verstärkt Aufklärung zu betreiben, inwieweit ein strukturiertes und systemorientiertes BGM sich auf die Beschäftigtengesundheit auswirkt.

MEHRWERT:PFLEGE
Das Angebot „MEHRWERT:PFLEGE“ gehört zur Dachmarke „Gesunde Lebenswelten“, unter der die gemeinsamen Präventionsaktivitäten der Ersatzkassen, die sich an verschiedene Zielgruppen richten, zusammengefasst sind. Das Angebot wird vom Verband der Ersatzkassen e.V. (vdek) organisiert. Ziel der umfassenden Prozessberatung ist es, die betriebliche Gesundheitsförderung in Krankenhäusern, (teil)stationären Pflegeeinrichtungen und ambulanten Pflegediensten zu unterstützen und die psychosoziale und physische Gesundheit aller Beschäftigten zu verbessern. Der Verband der Ersatzkassen e.V. ist Interessenvertretung und Dienstleister aller sechs Ersatzkassen (Techniker Krankenkasse, BARMER, DAK-Gesundheit, KKH Kaufmännische Krankenkasse, hkk-Handelskrankenkasse, HEK – Hanseatische Krankenkasse). Zusammen versichern sie rund 28 Millionen Menschen in Deutschland.
 
 

MEHRWERT:PFLEGE in der AWO Lausitz

 Mit welchen Herausforderungen sind Sie täglich konfrontiert?

 Marcus Beier, Geschäftsführer der AWO Lausitz: Der Personalmangel ist ein großes Problem. Insbesondere in der Pflege werden viele Mitarbeitende benötigt. Weitere Faktoren sind krankheitsbedingte Fehl- wie auch Urlaubszeiten. Unsere Betreuungsleistungen in der Pflege fangen beim Pflegegrad 2 an, die meisten Patienten haben aber bereits die Stufen 3, 4 oder 5. Die Herausforderungen in der Pflege sind damit immens hoch. Die Anforderungen an die Berufsbilder sind ebenfalls extrem gestiegen und vielfältiger geworden.


 Wie hat sich die Einführung des Betrieblichen Gesundheitsmanagements gestaltet?

 Marcus Beier: Zunächst einmal mussten wir die zeitlichen Ressourcen schaffen, damit die Mitarbeitenden überhaupt die Möglichkeit bekommen, im BGM-Projekt mitzuarbeiten, sich in Workshops zu beteiligen und Maßnahmen mitzugestalten. Wir haben insbesondere in dieser Zeit immer wieder darauf hingewiesen, dass wir die Probleme unserer Mitarbeitenden ernst nehmen und sie gerne bearbeiten möchten.


 Worin liegt der Schwerpunkt in Ihrem Projekt MEHRWERT:PFLEGE?

 Marcus Beier: Wir haben uns darauf fokussiert, das Umfeld, die Arbeitsorganisation und Teamkultur besser zu gestalten. In diesem Zusammenhang sind Führungskräfteverhalten, Dienstplangestaltung und Informationsweitergabe (unter anderem in Schichtübergaben) zentral. Diese Themen haben einen sehr großen Einfluss auf die Mitarbeitendenzufriedenheit und individuelle Gesundheit. Entsteht das Gefühl, dass die Mitarbeitenden nie freihaben oder ständig als Ersatz gerufen werden, steigt die Frustration und auch die Überlastung. Privat- und Familienleben sowie Freizeit finden dann kaum noch statt. Hinzu kommt, dass die Mitarbeitenden in ein großes Dilemma geraten: Sie möchten die zu pflegenden Menschen nicht hängen lassen beziehungsweise ihre Kolleg*innen entlasten, benötigen aber eben auch freie Zeit zur Regeneration.

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Organisationsberatung

Gesundes Unternehmen

BAD unterstützt im Rahmen des Projekts "MEHRWERT:PFLEGE" u. a. mit der "Organisationsberatung - gesundes Unternehmen". Erfahren Sie mehr zu unserer Dienstleistung.

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 Was hat sich seit dem Projektstart geändert?

 Marcus Beier: Wesentlich verbessert hat sich die Dienstplangestaltung. Sie liegt nun in der Verantwortung der Beschäftigten. Sie können selbstbestimmter mit ihren Diensten umgehen, auch mit Vakanzzeiten ihrer Kolleg*innen. Das hat zu sehr viel mehr Zufriedenheit geführt. Auch schon lange brodelnde Konflikte konnten beigelegt werden. Ein Beispiel: In einer unserer Einrichtungen gab es starke Differenzen zwischen den Mitarbeitenden und der Führungskraft. Einige Pflegekräfte hatten das Gefühl, bei der Einteilung der Wochenenddienste ungerecht behandelt zu werden.

Wir haben dies im Steuerkreis angesprochen. Unter der Moderation von Stephan Anders-Krummnacker von BAD haben wir eine Gesprächsrunde mit den Betroffenen durchgeführt und dort die statistischen Fakten der letzten Monate aufgezeigt. Schnell wurde deutlich, dass die subjektive Wahrnehmung und die objektive Realität nicht übereinstimmten. Das wiederum sorgte bei den Mitarbeitenden für einen Aha-Effekt: Der Konflikt war unberechtigt und wurde in dem Moment gelöst. Ein zweites Beispiel: Wir konnten unsere Kommunikation verbessern, indem wir in unseren sehr verwinkelten Gebäuden Headsets eingeführt haben. Bei einem Notfall oder bei einem hohen Pflegeaufwand eines Patienten können die Kolleg*innen sich so schnell Hilfe holen. In der Vergangenheit war hier jede*r auf sich allein gestellt.


 

 Gibt es noch Handlungsbedarf?

 Marcus Beier: Definitiv! Wir möchten gerne die psychischen Belastungen unserer Mitarbeitenden verringern. Besonders die beiden letzten Coronajahre waren extrem belastend. Die Pflegebedürftigkeit hat sehr zugenommen, insbesondere in der stationären Pflege. Und durch die hohen Pflegegrade haben wir eine hohe Fluktuation an Bewohner*innen. Während früher Pflegebedürftige über Jahre hinweg begleitet wurden, sind es heute zum Teil nur einige Wochen.

Das heißt: Unsere Mitarbeitenden sind verstärkt damit beschäftigt, palliativ zu arbeiten. Sie haben also zunehmend als nicht originäre Aufgabe, Beschwerden der Patient*innen mit einer recht geringen Lebenserwartung zu lindern und ihnen eine höchstmögliche Lebensqualität zu verschaffen. Dieses Problemfeld müssen wir angehen. Die interkulturelle Öffnung ist ein weiteres Themenfeld, denn zunehmend kommen Pflegebedürftige aus anderen Kulturen zu uns. Darüber hinaus rückt der geschlechter- und gendergerechte Umgang mit Patient*innen in den Fokus.


 Was empfehlen Sie anderen Einrichtungen im Gesundheitswesen, die sich auf den Weg in Richtung BGM machen?

 Marcus Beier: Oberste Maßgabe ist, dass die Geschäftsführung, die Leitung, das Vorhaben mitträgt, unterstützt und dahintersteht. Es ist wichtig, dass die Mitarbeitenden spüren, dass der Arbeitgeber hier wirklich etwas für ihre Gesundheit und ihr Wohlbefinden am Arbeitsplatz tun will. Es gilt, die Handlungsfelder zu identifizieren und Vorgehensweisen für die Umsetzung von Lösungen gemeinsam zu besprechen.

 

 

 

Pflege 4.0: Sorgen Roboter für Entlastung?

Video-Interview

Pflege 4.0: Sorgen Roboter für Entlastung?

Sehen Sie ein Videointerview mit Dr. Rainer Wieching (Universität Siegen) über die Vorteile von Robotern in der Pflege, die Aufgabenteilung zwischen Mensch und Maschine und die Akzeptanz bei den Heimbewohner*innen.

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MEHRWERT:PFLEGE im Klinikum Darmstadt

 Mit welchen Herausforderungen sind Sie täglich konfrontiert?

 Lotte Schwärzel, Arbeitspsychologin und BGM/- BEM-Beauftragte des Klinikums Darmstadt: Als Krankenhaus der Maximalversorgung stehen unsere Beschäftigten den Patient*innen rund um die Uhr an 365 Tagen im Jahr zur Verfügung. Daraus resultieren Stressoren auf unterschiedlichen Ebenen. Nach fast drei Jahren Pandemie sind die Mitarbeitenden emotional sehr belastet, aber auch der enorme Zeitdruck und die hohe Arbeitsdichte zehren an den Kräften. Die Folgen dieser hohen Arbeitsbelastungen, der Fachkräftemangel und die zunehmende Multimorbidität der Patienten*innen, spiegeln sich zum Beispiel in steigenden Fehlzeiten oder erschöpftem Personal wider.


 Wie hat sich die Einführung des BGM gestaltet?

 Lotte Schwärzel: Wir haben Anfang 2020 begonnen, unser Betriebliches Gesundheitsmanagement neu aufzustellen. Zu Beginn sind wir bewusst zweigleisig gefahren: Mit Gesundheitskursen wie Resilienztrainings, Kommunikationsseminaren oder speziellen Angeboten für Führungskräfte haben wir zum einen zeitnah auf den Bedarf in unserem Haus reagiert. Zum anderen haben wir den Schwerpunkt auf den Aufbau von Strukturen und Prozessen, eine eingehende Analyse und die strategische Ausrichtung des BGM gelegt.


 

 Worin liegt der Schwerpunkt von MEHRWERT:PFLEGE in Ihrem Haus?

 Lotte Schwärzel: Im Rahmen von MEHRWERT:PFLEGE haben wir uns ganz konkrete Ziele für die zwei Jahre Projektlaufzeit vorgenommen. Auf der Grundlage des BGM-Checks, von Analysen aus Gesundheitsberichten der Krankenk assen und Ergebnissen der Gefährdungsbeurteilungen haben wir ein BGM-Programm erarbeitet, das gleichermaßen verhältnis- und verhaltenspräventive Maßnahmen beinhaltet. Der Schwerpunkt liegt auf den Themen Ergonomie und psychische Gesundheit. Im Bereich der Ergonomie setzen wir beispielsweise über MEHRWERT:PFLEGE das Arbeitsplatzprogramm Rückengesundheit um. Hierbei werden die Mitarbeitenden am Arbeitsplatz zum ergonomischen Arbeiten beraten und von Expert*innen vor Ort geschult.

Um die psychische Gesundheit zu fördern, gehen wir bei der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen in die Offensive, weil wir hierüber wichtige Erkenntnisse zur Optimierung von Arbeitsbedingungen erhalten und konkrete Maßnahmen ableiten können. Ferner fördern wir die Selbstwirksamkeit der Beschäftigten, indem wir sie verstärkt in die Umsetzung von Arbeitsplatzgestaltungsmaßnahmen einbinden.

Darüber hinaus stehen für uns zwei wichtige Zielgruppen im Fokus: Auszubildende und Führungskräfte. Auszubildende sind die Fachkräfte von morgen. Gesundheitskompetenz aufzubauen ist die Voraussetzung für ein gesundes Arbeitsleben. Deshalb bieten wir ein spezielles Azubi-Präventionsprogramm an.

Führungskräfte wiederum haben in der Förderung der Mitarbeitendengesundheit eine besondere Hebelwirkung. Sie gestalten Arbeit, agieren als Vorbilder und sind eine wichtige Stellschraube, BGM-Maßnahmen zu kommunizieren und umzusetzen. Mit dem Führungskräfteentwicklungsprogramm der BAD und Seminaren zum gesunden Führen möchten wir gezielte Angebote schaffen, um Führungskompetenzen aufzubauen.

Nicht zuletzt muss BGM erlebbar sein. Für die Mitarbeitenden braucht es daher greifbare Angebote. Unser Anliegen war es, nach zwei Jahren Corona wieder miteinander ins Gespräch zu kommen und Orte der Begegnung zu schaffen. Die Teilnahme am Firmenlauf und ein großer Gesundheitstag mit attraktiven Aktionen bieten eine gute Gelegenheit.


 Was hat sich seitdem geändert?

 Lotte Schwärzel: Unser Steuerkreis Gesundheit hat sich zu einem wichtigen Instrument im BGM etabliert. Fachlich sind wir sehr gut aufgestellt durch die Abteilung für Arbeits-, Brand- und Umweltschutz, die Betriebsmedizin und nicht zuletzt die Stabsstelle Arbeitspsychologie. Neben dem Betriebsrat und der Schwerbehindertenvertretung arbeiten auch die Personalleitung und der Pflegedirektor, die ebenfalls Mitglieder der Krankenhausleitung sind, engagiert in diesem Kreis mit. Durch diese Besetzung und die Unterstützung der Geschäftsführung sind wir schnell entscheidungsfähig und können in vielen Themen sofort in die Umsetzung gehen. Alle Maßnahmen und dass die Gesundheit der Mitarbeitenden dadurch in den Fokus gerückt ist, zahlen spürbar auf einen starken Zusammenhalt und eine positive Unternehmenskultur ein.

 
 

 Gibt es weiteren Handlungsbedarf?

 Lotte Schwärzel: Ganz klar! Wir benötigen weiterhin die Unterstützung durch Projekte wie MEHRWERT:PFLEGE, um unser BGM nachhaltig umsetzen zu können. Eine Herausforderung für BGM in unserem Setting ist nach wie vor die nicht auskömmliche Krankenhausfinanzierung. Für rund 3.500 Beschäftigte benötigt es neben den personellen Ressourcen ebenfalls die entsprechenden finanziellen Mittel. Durch den verstärkten Personalmangel sind wir immer häufiger gezwungen, Leiharbeitskräfte in allen Berufsgruppen einzusetzen.

Hinzu kommen die Generations- und Kulturunterschiede sowie die persönlichen Bedürfnisse beziehungsweise Belastungen hinsichtlich unterschiedlicher Lebensphasen. Wir beobachten, wie in diesem Kontext die Kommunikation untereinander sowie die Zusammenarbeit als Herausforderung erlebt wird. In diesem Zusammenhang möchten wir künftig mit gezielten Qualifizierungsangeboten und Teamentwicklungsmaßnahmen die Resilienz unserer Teams fördern.


 Was empfehlen Sie anderen Einrichtungen, die sich auf den Weg in Richtung BGM machen?

 Lotte Schwärzel: Aus meiner Perspektive ist ein entscheidender Punkt, dass die Geschäftsführung das Vorhaben, ein BGM mit allen Konsequenzen zu implementieren, trägt. Ferner gilt es, Führungskräfte mit ins Boot zu holen und die Mitarbeitenden zu beteiligen. Des Weiteren braucht es einen „Kümmerer“ – eine Person, die dafür sorgt, dass Prozesse und Maßnahmen des BGM nachgehalten werden können. Sie sollte dafür freigestellt werden oder einen entsprechenden Stellenanteil bekommen.

Eine gute Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat und der Schwerbehindertenvertretung ist unabdingbar. Ebenso profitiert jede Einrichtung von der Expertise der Fachkräfte für Arbeitssicherheit und von Arbeitsmediziner*innen. Abschließend möchte ich erwähnen, dass Projekte wie MEHRWERT:PFLEGE ein wunderbarer Startpunkt sind, sich geordnet auf den Weg zu machen. Besonders die Prozessberatung ist zum Start außerordentlich wertvoll.

 
 

Zahlen in der Pflegebranche:

4,13 Millionen Menschen

sind pflegebedürftig

15.380 stationäre Pflegeeinrichtungen

gewährleisten die Versorgung der Pflegebedürftigen

Es gibt 1.903 Krankenhäuser mit rund 1,34 Millionen Beschäftigten

(Statistisches Bundesamt, Zahlen Stand 31.12.2020)

14.688 ambulante Pflegedienste

gewährleisten die Versorgung der Pflegebedürftigen

1,22 Millionen Menschen

arbeiten in ambulanten und stationären Pflegeeinrichtungen
(Statistisches Bundesamt, Zahlen Stand 31.12.2019)

Im Jahr 2019 wurden 19,4 Millionen Menschen

in Krankenhäusern behandelt
(Statistisches Bundesamt, Zahlen Stand 31.12.2019)

 

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