Wie gelingt die Rückkehr in den Job?

Betriebliches Eingliederungsmanagement

Arbeitgeber sind verpflichtet, länger erkrankten Beschäftigten ein Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) anzubieten. Aber wie gelingt ein „gut gemachtes“ BEM? Antworten von Kerstin Hillbrink, Beraterin Gesundheitsmanagement bei BAD .

Arbeitgeber sind verpflichtet, länger erkrankten Beschäftigten ein Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) anzubieten. Das BEM ist ein wertvolles Instrument für präventiven Gesundheitsschutz in Unternehmen: Es hilft, Fehlzeiten und Krankheitskosten zu senken, geschätzte Mitarbeiter zu halten, dem demografischen Wandel zu begegnen sowie Gesundheit und Motivation der Beschäftigten zu fördern. Aber wie gelingt ein „gut gemachtes“ BEM?

 

  Was sollte bei der BEM-Planung beachtet werden?

 Kerstin Hillbrink:Oft wird das Gelingen von BEM-Verfahren an der Gesprächsführung festgemacht. Nach meiner Erfahrung werden die Weichen, ob ein BEM gelingt oder nicht, jedoch schon viel früher – bei der Planung und Implementierung der Prozesse – gelegt. Wenn ich an meine „Best-Practice“ Kunden denke, startete der Implementierungs-Prozess dort schon Monate vor dem ersten BEM-Gespräch mit der Klärung grundsätzlicher Fragen: Zweck, Ziele, Geltungsbereich, Ablauf, daran beteiligte Personen, Datenschutz, Aufbewahrung der BEM-Akte, interne Kommunikation und Dokumentation.

Wird diese Grundstruktur zum BEM-Verfahren schriftlich in einer Betriebsvereinbarung festgehalten, hat das zusätzlich den Vorteil, dass der Gesamtprozess jederzeit und von jedem als verbindliche Struktur erkennbar und nachzulesen ist. Mit diesem Grundgerüst haben dann alle Beteiligten die nötige Orientierung und Sicherheit für die Umsetzung.


  Welche Rolle spielen Führungskräfte bei der Einführung eines BEM?

 Kerstin Hillbrink:Bevor ein BEM umgesetzt wird, ist es absolut notwendig, die Führungsriege mit ins Boot zu holen! Die Grundhaltung der Führungskräfte zum BEM hat einen großen Einfluss auf die Qualität der einzelnen BEM-Verfahren und die Annahmequote. Bei einem meiner Kunden, einem großen Logistikunternehmen, wurde das vorbildlich umgesetzt. Nach der Formulierung der Betriebsvereinbarung gab es als erstes eine Info-Veranstaltung für die Bereichsleitungen, bei der die geplanten Prozesse vorgestellt, diskutiert und für gut befunden werden konnten. Für die nächste Leitungsebene, die Abteilungs- und Teamleitungen, gab es Implementierungs-Workshops.

Hauptziele dieser Veranstaltungen waren neben der Vermittlung von Informationen und der Rollenklärung vor allem die Motivation zur Mitarbeit und das „Ja!“ zum Prozess. Als alle Führungsebenen hinter dem neu aufgesetzten Prozess standen, konnte die Information der Beschäftigten in der Fläche erfolgen. Da das Unternehmen mit einem 2- Schicht-Modell arbeitet, mussten wir sicherstellen, dass alle Beschäftigte teilnehmen konnten. Somit wurde der erste Vortrag zum BEM bereits morgens um 6:00 Uhr angeboten. Für mich eine große Herausforderung, aber für den Prozess unbedingt notwendig.

Bei einem BEM-Neustart werden Einladungen zu BEM-Gesprächen an die MitarbeiterInnen gehen. Damit das beim einzelnen nicht Angst und Unverständnis auslöst, ist die interne Kommunikation über den Start, die Inhalte und die Ziele des BEM in der Fläche sehr wichtig.


  Wie sehen die Erfolgsfaktoren für eine gelungene Umsetzung aus?

 Kerstin Hillbrink:Ich bezeichne die Arbeit in der Umsetzung des BEM gerne als „ergebnisoffenen Suchprozess“. Eine gewisse Offenheit ist notwendig. Sowohl von den BEM-Berechtigten als auch von der Unternehmensseite. Nur so kommt ein wirklicher Austausch zustande. Vorurteile und festgefahrene Meinungen erschweren einen erfolgreichen Prozess.

Ohne das Vertrauen der MitarbeiterInnen wird ein BEM-Verfahren selten erfolgreich verlaufen. Denn ohne Vertrauen erfahren Sie vermutlich nicht, dass die sonst so zuverlässige Kollegin immer öfter fehlt, weil Sie während der Corona-Zeiten ein Problem mit Alkohol entwickelt hat. Oder, dass der sonst so engagierte Kollege aufgrund einer Darmerkrankung nicht mehr in den Außendienst fahren mag, weil er stets eine Toilette in der Nähe braucht. Oder dass die langjährige Fachkraft sich häufig krank meldet, weil ein ungelöster Konflikt mit der Führungskraft ihr den Weg zur Arbeit schwer macht.

Ich erinnere mich an ein BEM-Gespräch vor vielen Jahren, bei dem ich fachlich unterstützen sollte, ohne den vorherigen Prozess begleitet zu haben. Etwas, was ich heute so nicht mehr tun würde. Die BEM-Berechtigte hatte gut sechs Monate gefehlt und wurde nach ihrer Rückkehr schriftlich informiert, dass sie zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort sein sollte. Ohne Rücksprache mit der Beschäftigten wurden Beteiligte zum BEM-Gespräch dazu geholt: Eine Personalerin, die Betriebsärztin, ein Mitarbeitervertreter, die Führungskraft, der Abteilungsleiter und ich als BEM-Beraterin (der betroffenen Mitarbeiterin völlig unbekannt!).

Man kann sich vorstellen, wie das Gespräch verlief. Die BEM-Berechtigte war in dieser großen Runde, mit ihr teils unbekannten Personen, verängstigt. Sie hat stur versichert, dass es ihr gut gehe, dass ihre Fehlzeiten nichts mit der Arbeit zu tun hätten, dass sie nun wieder voll arbeitsfähig sei. Natürlich waren das Schutzbehauptungen, die so nicht stimmten. Eine sinnvolle Unterstützung war nicht möglich. Die Mitarbeiterin fiel sehr schnell wieder aus und ihr wurde wenige Monate später gekündigt. Nicht nur, dass bei dieser Mitarbeiterin eine große Chance verpasst wurde. Es ist davon auszugehen, dass sich in diesem Unternehmen bei allen Beschäftigten schnell herumspricht, welche Gefahr eine BEM-Einladung darstellt.

Wenn länger erkrankte MitarbeiterInnen motiviert an ihren Arbeitsplatz zurückkehren sollen, brauchen sie eine professionelle Begleitung.


  Sie raten Arbeitgebern, ihren Mitarbeitenden schon vor der sechs-Wochen-Frist ein BEM zu ermöglichen. Warum ist das sinnvoll?

 Kerstin Hillbrink:Beschäftigte werden spätestens nach sechs Wochen Arbeitsunfähigkeit eingeladen, auch wenn sie noch nicht wieder arbeitsfähig sind. Ich empfehle Unternehmen, den MitarbeiterInnen auch schon vor der sechs-Wochen-Frist, ein „BEM auf Eigeninitiative“ zu ermöglichen. Damit können Beschäftigte von sich aus ein BEM anstoßen, wenn zu befürchten ist, dass sie nicht mehr lange – wie bisher – weiterarbeiten können, ohne krank zu werden.

Aktuell begleite ich den Prozess einer sehr kompetenten IT-Fachkraft, die eigeninitiativ ein BEM angestoßen hat, um einen sich bereits ankündigenden Burnout zu verhindern. Im Austausch mit dem Arbeitgeber konnte der Mitarbeiter aus einem besonders belastenden Projekt herausgenommen und an anderer Stelle eingesetzt werden. Zeitgleich unterstützen wir ihn bei der Antragstellung für ein regionales Präventionskonzept, welches von der Rentenversicherung unterstützt wird und mit wenig beruflichen Ausfallzeiten genutzt werden kann. Bedenkt man, dass die Ausfallzeiten bei einem Burnout oft mehrere Monate betragen, hat sich der Aufwand vermutlich auch finanziell für den Arbeitgeber gelohnt.


  Manche Mitarbeitende sind verunsichert, wenn sie das Einladungsschreiben zum BEM erhalten. Wie gelingt es, gerade dies zu vermeiden?

 Kerstin Hillbrink:Es ist wichtig, schon im Einladungstext die richtigen Worte zu finden: „Ihre Gesundheit ist uns wichtig! Wir wollen Sie nach einer längeren Phase der Erkrankung bei der Rückkehr an Ihren Arbeitsplatz unterstützen“ sind z. B. gute Einstiege im Anschreiben.

Jeder Beschäftigte entscheidet frei, ob er das angebotene BEM annimmt. Umso wichtiger ist es, dass Sie gut informieren und das Verfahren transparent gestalten. Wenn die Einladung zum BEM angenommen wurde, sollte das erste Gespräch der Informationsvermittlung dienen. Die BEM-Berechtigten müssen über Inhalte und Ziele, über die Freiwilligkeit, über Datenschutz und ihre Rechte und Pflichten im BEM Bescheid wissen. Erst dann können sie sich für oder gegen den weiteren Prozess entscheiden.


  Haben Sie einen Tipp für eine gelungene Gesprächsführung?

 Kerstin Hillbrink:Das betriebliche Eingliederungsmanagement ist ein Unterstützungs-Angebot für Beschäftigte, die längere Zeit erkrankt waren. Nichts geschieht ohne ihr Einverständnis, sie sind „Herr des Verfahrens“. Entsprechend sollten auch die Gespräche gestaltet werden: Wertschätzend, unterstützend und mit einer offenen, neugierigen Grundhaltung. Niemand kennt die eigene Leistungsfähigkeit und die Anforderungen am Arbeitsplatz so gut wie die Person, um die es gerade geht.


  Im BEM-Prozess geht es um sehr persönliche Dinge. Ist garantiert, dass das Besprochene im geschützten Raum bleibt?

 Kerstin Hillbrink:BEM-Akte und Personalakte müssen klar voneinander getrennt sein. Nicht jeder, der in die Personalakte schauen kann, darf über die sensiblen Gesundheitsdaten aus dem BEM-Verfahren informiert werden. Alle, die an dem jeweiligen BEM-Verfahren direkt beteiligt sind, unterliegen der Schweigepflicht. Dies sollte schriftlich von allen Beteiligten bestätigt und in der BEM-Akte aufbewahrt werden.

Die BEM-Berechtigten sollten immer wissen, wer, mit wem, was bespricht, wenn es ihren BEM-Prozess betrifft. Für alle Gespräche ohne Beteiligung des BEM-Berechtigten muss es einen klaren Auftrag und eine Schweigepflichtentbindung geben. Genauso sollten BEM-Berechtigte über alles, was in ihrer BEM-Akte gespeichert ist, informiert sein.


  Wie sollte aus Ihrer Sicht das BEM-Team zusammengesetzt sein?

 Kerstin Hillbrink:Nicht immer ist ein großes BEM-Team notwendig. Manche Prozesse können auch unter vier Augen gut gelöst werden. Manchmal aber kommt man mit einem multiprofessionellen BEM-Team viel weiter.

Ein schönes Beispiel dafür ist der Fall eines schwerbehinderten Fahrers in einem großen Logistikunternehmen. Aufgrund einer Rückenproblematik benötigte er einen sehr speziellen Fahrersitz. Das BEM-Team bestand aus der Betriebsärztin mit medizinischem Knowhow, der Fachkraft für Arbeitssicherheit mit technischem Knowhow, der Führungskraft als Expertin für die betrieblichen Abläufe und einem Mitarbeiter des Integrationsfachdienstes. Dieser konnte uns über Möglichkeiten finanzieller Unterstützungen für das Unternehmen aufklären. So wurde der Fahrer, ohne großen finanziellen Aufwand für das Unternehmen, wieder eingegliedert und die Fehlzeiten reduziert. Zusätzlich fühlte sich der Mitarbeiter abgeholt und wertgeschätzt, war motiviert und noch enger an „seine Firma“ gebunden.


  Gibt es „Blaupausen“ für BEM-Prozesse oder ist jeder individuell zu betrachten?

 Kerstin Hillbrink:Jeder BEM-Fall ist anders. Jeder Mensch ist anders. Jedes Unternehmen hat andere Rahmenbedingungen. Was nach meiner Erfahrung unabhängig von all dem wirkt, ist die Grundhaltung, mit der das BEM angeboten und gelebt wird. Das Motiv hinter dem Angebot. Die erfolgreichsten BEM-Prozesse erlebe ich in den Unternehmen, in denen der einzelne Mensch sowie die Gesundheit der Beschäftigten einen großen Stellenwert haben. Aus dem Motiv, zu unterstützen und der Grundannahme, dass Menschen lieber arbeiten als krank sind, ergeben sich ganz automatisch gute BEM-Prozesse.

Quelle: www.onpulson.de

 

 

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