Moderation:
Christian Gies (BAD-Unternehmenskommunikation)
Orthopädische Erkrankung
Rücken, Hüfte, Knie: So gelingt die Rückkehr in den Job!
Wenn Bewegungs- und Stützapparat erkrankt sind, drohen längere Ausfallzeiten im Beruf. Um Betroffenen die Rückkehr in den Job nach einer orthopädischen Erkrankung zu erleichtern, müssen vielfach Arbeitsabläufe und -mittel geändert werden, sagt BAD-Ärztin Dr. med. Anja Schulte.
Gibt es orthopädische Erkrankungen,
die häufig zu beobachten sind?
Dr. med. Anja Schulte: Während meiner Arbeit in einer orthopädischen Rehaklinik habe ich unterschiedliche orthopädische Erkrankungen gesehen. Wir haben viele Patient*innen mit Rückenschmerzen betreut, das am häufigsten auftretende orthopädische Problem. Diese Patientengruppe war vom Altersspektrum bunt gemischt. Viele Patient*innen mit Gelenkersatz (Hüfte, Knie, Schulter) kamen ebenfalls zur Anschlussheilbehandlung zu uns. Diese Patient*innen befinden sich eher im mittleren bis höheren Lebensalter ab Ende 50.
Welche Berufsgruppen sind
besonders betroffen?
Dr. Schulte: Beschäftigte in der Alten- und Krankenpflege sind sehr belastet, ebenso Personen, die im Baugewerbe arbeiten und dort schwer heben und tragen müssen.
Was können Arbeitgeber präventiv gegen eine orthopädische Erkrankung tun?
Dr. Schulte: Im Arbeitsschutz wird das sogenannte STOP-Prinzip angewendet. Es legt die Hierarchie der Schutzmaßnahmen fest und gruppiert sie nach der Substitution in technische, organisatorische und persönliche Maßnahmen. Als technische Schutzmaßnahme kommt vor allem im Pflegebereich die Hebehilfe zur Entlastung zum Einsatz. Organisatorisch macht es immer Sinn zu schauen, ob beispielsweise mehrere Personen eingesetzt werden können, wenn schwere Sachen gehoben oder getragen werden müssen. Das entlastet den Einzelnen. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die ergonomische Beratung. Sie vermittelt den Beschäftigten, wie sie langfristig ihren Rücken gesund erhalten können und welche Bewegungsformen optimal bzw. zu meiden sind. Die jährliche Unterweisung bietet hierfür einen guten Rahmen.
Welche Auswirkungen haben orthopädische Erkrankungen auf die psychische Verfassung? Insbesondere, wenn man handlungseingeschränkt ist?
Dr. Schulte: Über ihre psychische Konstitution während einer orthopädischen Erkrankung zu sprechen, ist für die Betroffenen zumeist ein Tabu. Daher thematisieren wir dies in unseren Beratungen und unterstützen die Beschäftigten. Denn oft entwickelt sich aus der orthopädischen Erkrankung eine Negativspirale: Bei gravierenden Rückenproblemen merken einige, dass gleichzeitig ihre körperliche Belastbarkeitsgrenze sinkt. Betroffene könnten ihre Schmerzen und Einschränkungen als Bedrohung empfinden und müssen die neue Situation erst einmal bewältigen. Zudem ändert sich womöglich auch die eigene soziale Rolle im Berufs- und Privatleben. Dies alles wirkt sich auf die Psyche aus.
Ist der Leidensweg nach einer Reha-Behandlung abgeschlossen?
Dr. Schulte: Die Reha ist nur ein kurzer Abschnitt, oftmals der Beginn des Veränderungsprozesses. Wichtig ist, dass Betroffene weiter ärztlich betreut werden, ihre Therapie fortgesetzt wird. Idealerweise unterstützt auch eine Betriebsärztin/ein Betriebsarzt im weiteren Verlauf mit entsprechenden Maßnahmen. Sie/er sollte einen Blick auf korrekt ausgeführte Bewegungsformen, geeignete Arbeitsabläufe und Gewichtsbelastungen haben. Die betroffenen Mitarbeitenden wiederum sind in der Verantwortung, ihre Trainings weiter durchzuführen und ihre erlernten ergonomischen Körperbewegungen und -haltungen beizubehalten, um weiteren Schäden vorzubeugen.
Welchen Part haben Sie als BAD-Ärztin bei der Wiedereingliederung?
Dr. Schulte: Wenn ein Mitarbeitender innerhalb von zwölf Monaten insgesamt mindestens sechs Wochen krankheitsbedingt ausgefallen ist, muss ihm das Betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) angeboten werden. Neben Arbeitgeber und Arbeitnehmenden können u. a. der Betriebsrat und die Schwerbehindertenvertretung teilnehmen. Eine Betriebsärztin/ein Betriebsarzt kann im BEM hinzugezogen werden.
Die Betriebsärzt*innen sind oftmals die einzigen Personen, die die konkrete Erkrankung auf der einen Seite kennen und den Arbeitsplatz durch Begehungen auf der anderen Seite besprechen können. Dadurch können Sie ein positives und negatives Leistungsbild erstellen und eine Verknüpfung zum aktuellen Arbeitsplatz herstellen und ggf. Anpassungen am Arbeitsplatz, technische Hilfsmittel oder auch eine Umsetzung auf einen anderen Arbeitsplatz empfehlen.
Je nach Erkrankung müssen für eine erfolgreiche Wiedereingliederung Arbeitsabläufe geändert werden, damit die Wiedereingliederung funktioniert. Das klingt auf dem Papier womöglich unkompliziert. Gibt es in der Praxis Barrieren?
Dr. Schulte: Barrieren kann es auf beiden Seiten geben, sowohl vom Betroffenen als auch vom Arbeitgeber. Der Mitarbeitende muss sich auf das Verfahren einlassen – ohne sämtliche privaten Details preisgeben zu müssen. Betriebsärzt*innen unterliegen aber ohnehin der ärztlichen Schweigepflicht. Desgleichen sollte der Arbeitgeber bereit sein, die vom Beschäftigten oder von betriebsärztlicher Seite empfohlenen Maßnahmen umzusetzen. Diesbezüglich unterstützen auch die Integrationsämter (beispielsweise bei Schwerbehinderten), sei es finanziell oder indem sie technische Mittel zur Verfügung stellen.
Wie sieht eine gelungene Wiedereingliederung bei Patient*innen mit einer Rückenerkrankung aus? Können Sie dies an einem Beispiel schildern?
Dr. Schulte: Ich erinnere mich an den Fall eines 34-Jährigen, der nach einem Bandscheibenvorfall zunächst physiotherapeutisch behandelt wurde. Parallel wurde geprüft, wie er beruflich einsetzbar ist, um einen Rückfall und damit einen weiteren Arbeitsausfall zu vermeiden. Der Arbeitgeber ist ihm entgegengekommen und hat ihn vorübergehend in den Innendienst an einen Büroarbeitsplatz versetzt. Für den Mitarbeitenden war dies ein guter Kompromiss. Er fühlte sich leistungsfähig und konnte weiterarbeiten, ohne seine Gesundheit zu gefährden. Nach der erfolgreichen Therapie kehrte er wieder an seinen alten Arbeitsplatz zurück. Gemeinsam haben wir die Situation betrachtet: Welche der bisherigen Tätigkeiten kann er sofort übernehmen und an welche
Aufgaben sollte er besser vorsichtig wieder herangeführt werden, um gesund zu bleiben?
Ist die stufenweise Wiedereingliederung grundsätzlich die beste Lösung?
Dr. Schulte: Die Stufenweise Wiedereingliederung nach dem Hamburger Modell ist eine von vielen Möglichkeiten im Rahmen des BEM. Sie hat sich vor allem bei längerem krankheitsbedingten Ausfall bewährt, um langsam wieder an die Arbeitsbelastung herangeführt zu werden, ohne gleich überfordert zu werden. Es ist sehr wichtig, dass Betriebsärzt*innen in den Prozess integriert sind. Sie können zusammen mit dem behandelnden Arzt beurteilen, wie viele Stunden oder Tage die Woche der Mitarbeitende nach oder mit dieser Erkrankung wieder mit der Arbeit beginnen kann und ab welchem Zeitfenster eine Steigerung möglich ist.
Letztlich muss die Wiedereingliederung zur Erkrankung passen, aber sie muss auch vom Arbeitnehmenden gewollt sein. Insbesondere bei orthopädischen Erkrankungen spielt die körperliche Belastung im Berufsalltag eine große Rolle. Durch Arbeitsplatzbegehungen können wir Abläufe korrigieren und Mitarbeitende darin unterstützen, gesundheitliche Probleme zu bewältigen.
Idealerweise ist das im Vorfeld schon so gut gelungen, dass es erst gar nicht zu gesundheitlichen Problemen am Arbeitsplatz kommt.