Moderation:
Christian Gies (BAD-Unternehmenskommunikation)
Risikofaktor Mensch
Warum wir uns riskant verhalten
Viele Arbeitsunfälle passieren, weil sich Menschen nicht sicherheitsgerecht verhalten. Schutzausrüstungen, technische Einrichtungen sowie organisatorische Maßnahmen sowie Aufklärung reichen demnach nicht aus, um das Sicherheitsbewusstsein in Unternehmen zu etablieren.
Behaviour Based Safety (BBS) – verhaltensorientierter Arbeitsschutz – setzt genau hier an. Das Konzept nutzt Erkenntnisse aus der Verhaltenswissenschaft für die betriebliche Arbeitssicherheit.
Warum verhalten sich Menschen riskant?
Johanna Ness: Psychologisch lässt sich das so erklären: Bei allem, was wir tun, erwarten wir bestimmte Vorteile oder zumindest positive Konsequenzen. Nutze ich beispielsweise den Fahrradhelm nicht, hat das im ersten Moment keine Nachteile. Im Gegenteil: Ich zerstöre meine Frisur nicht.
Denkt man über riskantes Verhalten und mögliche Konsequenzen nicht nach?
Johanna Ness: Der Gewohnheitsgedanke spielt hier eine große Rolle. Nehmen wir ein Beispiel aus dem beruflichen Kontext, das ich oft erlebe: Ein Lkw hält an einer Rampe, um auszuladen. Der dafür Verantwortliche kommt jedoch mit einem für die zu beladende Ware viel zu schwachen Flurförderfahrzeug. Im Prinzip braucht er ein Flurförderfahrzeug mit einer höheren Tragkraft. Doch hinter ihm stehen weitere Lastwagen, die ebenfalls entladen werden müssen. Die Fahrer warten bereits und würden vermutlich ungehalten werden, wenn er einen stärkeren Stapler holen würde. Bei den Ladungen zuvor ist ja immer alles gut gegangen. Im Hinterkopf kennt er natürlich die möglichen Konsequenzen, falls der Stapler das Warengewicht nicht halten kann. In diesem Augenblick dominieren aber die Vorteile: Es geht schneller und die anderen Wartenden beschweren sich nicht.
Die Situation würde sich verändern, wenn der Verantwortliche wirklich ein neues Flurförderfahrzeug herholt, und die Kollegen oder anderen Lastwagenfahrer ihn für sein vorbildliches Verhalten loben. Das wäre eine positive Konsequenz oder ein positives Erleben.
Wie kann man die Einstellung zum Arbeitsschutz ändern?
Johanna Ness: Oftmals ist das ein langer Prozess. Verhalten ist nicht so schnell änderbar. Jeder weiß beispielsweise, dass es sicherer ist, den Handlauf beim Treppensteigen zu benutzen. Trotzdem ignoriert man ihn oft. Nur zu sagen: Ihr müsst jetzt den Handlauf benutzen, reicht nach dem Konzept des verhaltensorientierten Arbeitsschutzes nicht. Die Mitarbeitenden sollen auch erkennen, dass sie dann sicherer sind, und zu dem sicheren Verhalten motiviert werden.
Dafür müssen die Führungskräfte dahinterstehen. Das BBS-Modell sieht keine Abmahnung vor, sondern setzt auf positive Verstärkung. Führungskräfte, die positive Veränderungen bei ihren Mitarbeitenden wahrnehmen, sollen diese loben. So kann sich das Verhalten dem Modell zufolge auch langfristig ändern.
BBS lebt vom Beobachten und von Zwischenzielen und wird somit messbar. Kurz gesagt: motivieren, bestärken, das Positive hervorheben.
Fühlen sich Mitarbeitende dann nicht permanent beobachtet?
Johanna Ness: Nur im positiven Sinne! Beobachtet jemand, dass andere für ihre sicherheitsgerechten Verhaltensweisen gelobt werden, kann das auf einen selbst
abfärben. Dieser Effekt kann auch zu einer gegenseitigen Bestärkung führen. Ein Beispiel: Sie haben sich bereits einmal durch fahrlässiges Verhalten verletzt, dann werden Sie erfahrungsgemäß in einer ähnlichen Situation Kolleg*innen darin bestärken, die Arbeit in Ruhe, achtsam und vor allem sicher auszuführen.
Es ist quasi ein Kreislauf der positiven Be- und Verstärkung. Auch sieht vielleicht die Führungskraft ein sicheres Verhalten und lobt dafür. Es geht hier um authentisches Lob, ohne das es erzwungen oder aufgesetzt wirkt.
Wie erleben Sie die Umsetzung in Unternehmen?
Johanna Ness: Es geht hier um einen grundsätzlichen Kulturwandel. Der ist nicht von heute auf morgen realisierbar. Erfahrungsgemäß muss man mit drei bis fünf Jahren rechnen. Alle Führungskräfte müssen mit an Bord geholt werden, das ist unabdingbare Voraussetzung. Sonst ist das Projekt von vornherein zum Scheitern verurteilt. Es gehört viel Beobachtung dazu, um Zwischenziele zu erreichen und die Ergebnisse messbar zu machen. Bei Unternehmen, die sich darauf eingelassen haben, zeigt sich ein deutlicher Rückgang der Unfallzahlen.
Die Mitarbeitenden sind zufriedener, da sich auch der Umgang miteinander verändert und damit ebenso die Art der Kommunikation, wie beispielsweise auf Fehler hingewiesen wird. In den 80er-Jahren gab es schon einmal ähnliche Ansätze. Mit der Aktion „Fünf Minuten für die Sicherheit“in der chemischen Industrie. „Komm mit Mensch“ der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) war eine große Kampagne in jüngerer Vergangenheit, die in die gleiche Richtung ging, auch wenn es sich dabei nicht um rein verhaltensorientierten Arbeitsschutz handelte.
Ist Dialog das A und O in diesem Prozess?
Johanna Ness: Grundsätzlich will man zunächst weg vom reaktiven Arbeitsschutz hin zu einem präventiven. Der Umgang mit Beinaheunfällen ist hier ein gutes Beispiel. In Unternehmen mit einer positiven Arbeitskultur sprechen Mitarbeitende über Fehlverhalten.
Sie wissen, dass sie dafür nicht geahndet, ausgelacht oder bestraft werden. So lernen auch andere daraus. Das funktioniert jedoch nur, wenn eine offene Kommunikationskultur herrscht, in der Führungskräfte ihren Mitarbeitenden Wertschätzung und Verständnis entgegenbringen. Sowohl Führungskräfte als auch Mitarbeiter müssen gemeinsam ins Boot geholt werden. Natürlich brauchen wir auch weiterhin den klassischen Arbeitsschutz: die Gefährdungsbeurteilung als Basis und technische, organisatorische und persönliche Maßnahmen. Der verhaltensorientierte Arbeitsschutz ist jedoch ein Teil davon und damit eine sinnvolle Ergänzung.
Wie kann BAD hier unterstützen?
Johanna Ness: Wir unterstützen in allen Fragen zum Arbeitsschutz, beispielsweise bei der Erstellung der Gefährdungsbeurteilung sowie den Unterweisungen. Auch wer ein ganzheitliches Konzept möchte, ist bei BAD richtig. Hier können wir Synergien schaffen zwischen Fachkräften für Arbeitssicherheit, Arbeitsmediziner*-innen und Arbeitspsycholog*innen.