Trotz des seit Jahren bestehenden Trends der Digitalisierung hat das Thema mobiles Arbeiten coronabedingt noch einmal rasant an Bedeutung gewonnen. Und einiges spricht dafür, dass das auch nach der Pandemie so bleibt. Dass diese Form der Arbeitsgestaltung neben all den Vorteilen auch mit vielen Herausforderungen verbunden ist, leuchtet ein: Oft müssen sich Mitarbeitende und Führungskräfte komplett neu organisieren und besonders die Führungskräfte brauchen Konzepte, die nicht auf Präsenz beruhen. Der wichtigste Wirkfaktor, ob mobiles Arbeiten zur Ressource oder zur Belastung wird, ist sicher der Mensch. Die Beschäftigten, Angestellten und Führungskräfte mit den unterschiedlichsten Bedürfnissen, Motiven und Ängsten. In den Beratungs- und Coachinggesprächen begegnen mir viele Reaktionen auf mobiles Arbeiten. Drei davon möchte ich gerne etwas genauer darstellen:
Burn-out-Falle Homeoffice
Ein langjähriger Mitarbeiter eines großen Unternehmens meldet sich bei mir mit Erschöpfungsund Burn-out-Symptomen. Dabei fing alles so schön an: „Als vor einem Dreivierteljahr in unserem Unternehmen mobiles Arbeiten ermöglicht wurde, war das für mich eine große Erleichterung!“ Als Pendler hatte er täglich eine recht lange Anfahrt. Durch die Freiheiten des mobilen Arbeitens sparte er sich diese Fahrtzeiten und konnte gleichzeitig mit seiner Partnerin die Kinderbetreuung viel besser organisieren. Neben diesen positiven Aspekten machte sich der Mitarbeiter aber von Anfang an auch Sorgen: „Hoffentlich glaubt mein Chef jetzt nicht, ich nutze die Situation aus und arbeite weniger als sonst! Ich möchte auf gar keinen Fall, dass jemand denkt, ich mache mir hier ein bequemes Leben!“
Die Vorstellung, dass Kolleg*innen oder Vorgesetzte Minderleistung unterstellen, führt gerade bei hochleistungsorientierten Menschen schnell in eine Überforderungsspirale. Selbst wenn die Befürchtungen gar nicht der Realität entsprechen, gehen Beschäftigte dann oft weit über ihre Grenzen hinaus, um die eigene Leistung zu beweisen. Bis irgendwann gar nichts mehr geht: „Seit einem Monat schaffe ich fast gar nichts mehr. Ich muss mich morgens regelrecht aus dem Bett prügeln und die unangenehmen Arbeiten schiebe ich unendlich auf. Mein Energielevel liegt bei null. Am meisten Angst habe ich davor, dass das irgendwann auffällt, aber im Moment kann ich mich einfach nicht motivieren!“
Tipp für Führungskräfte:
Überarbeitung im Homeoffice vermeiden
Mobiles Arbeiten führt bei vielen Mitarbeitenden
zu mehr Effizienz und einer Leistungssteigerung.
So weit, so gut. Bei Mitarbeitenden mit ausgeprägtem Leistungsanspruch und Anerkennungsbedürfnis kann das aber schnell in Richtung Erschöpfung oder Burn-out kippen. Hier
ist es wichtig, (nicht nur auf der Sachebene) im
Gespräch zu bleiben. Thematisieren Sie in den
Einzelgesprächen immer auch die aktuelle Stimmung und Arbeitsbelastung und lassen Sie Ihre
Mitarbeitenden wissen, wenn Sie zufrieden mit
der Leistung sind: „Ich bin sehr zufrieden mit
deiner Leistung und bin mir sicher, du arbeitest
sehr viel zurzeit. Wie geht es dir damit?
Kannst du das alles noch gut handhaben?“
könnten z.B. gute Einstiegsfragen sein.
Führung jenseits von Kontrolle
Eine noch junge Führungskraft hat im Rahmen einer Mitarbeitendenbefragung recht kritische Rückmeldungen bekommen. Die Befragung wurde zu einem Zeitpunkt umgesetzt, als viele der Beschäftigten erstmals auch außerhalb der Betriebsstätte mobil arbeiten konnten und sollten. Natürlich hatte die junge Führungskraft schon wahrgenommen, dass die Beziehung zu einigen Mitarbeitenden angespannt war. Nun hatte sie es schwarz auf weiß. Im Rahmen eines Coachings möchte sie sich ihre Anteile daran anschauen und Handlungsmöglichkeiten für sich erarbeiten. In den Gesprächen kommen wir schnell zu dem Kernthema: ihre Angst, die Kontrolle zu verlieren. Sie war gerade mal ein Jahr in ihrer Führungsposition und musste sich in dieser Rolle noch beweisen. Dann änderte sich auf einmal vieles und sie war gefordert, virtuell zu führen.
Ihre bereits vorhandene Unsicherheit wurde durch diese neue Herausforderung also noch erhöht. Unbewusst hat sie dann das gemacht, was die meisten Menschen in angstbesetzten Situationen machen: Sie hat versucht, der Unsicherheit durch mehr Kontrolle entgegenzuwirken. Dies zeigte sich durch häufige, unangekündigte Kontrollanrufe, das Ansetzen spontaner Teamsmeetings u. Ä. Bei ihren Mitarbeitenden, die autonomes, eigenständiges Arbeiten wertschätzten und gewohnt waren, hat das zu latentem, aber spürbarem Widerstand geführt. Dies wiederrum löste bei der Führungskraft ein noch höheres Kontrollbedürfnis aus. So entstand ein Kreislauf, der am Ende zu sehr schlechten Befragungsergebnissen und angespannten Beziehungen führte
Tipp für Führungskräfte:
mehr Vertrauen bei mobiler Arbeit
Die Arbeitsform des mobilen Arbeitens funktioniert nur mit Führungskräften, die vertrauen können. Natürlich müssen Führungskräfte die Arbeit
der Mitarbeitenden auch kontrollieren und prüfen. Und oft ist es eine
Gratwanderung, beides zu vereinbaren. Meiner Erfahrung nach gelingt
dies am besten, wenn sich die Führungskräfte ihrer eigenen Ängste und
Unsicherheiten bewusst sind. Dann können unbewusst ausgelebte
Kontrollaktionen durch reflektierte, ergebnisorientierte und transparente
Führungsinstrumente ausgetauscht werden.
Selbstisolation und Einsamkeit
Mein letztes Beispiel begegnete mir im Rahmen des Betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM). Eine Mitarbeitende war im vergangenen Jahr mehrfach krank. Immer mal wieder einige Tage. Insgesamt kam sie auf sechs Wochen innerhalb der vergangenen zwölf Monate und hatte damit Anspruch auf ein BEM-Verfahren. Als externer Dienstleister gelang es mir, Vertrauen aufzubauen, und so erfuhr ich bald, was hinter den körperlichen Erkrankungen (Erkältung, Migräne, Magen-Darm...) auch noch steckte: Die Arbeitnehmerin lebte allein und war erst vor Kurzem neu zugezogen. Sie hatte kaum ortsnahe Freunde und nur wenige Kontakte außerhalb ihrer Arbeit. Die Arbeit machte ihr Spaß, gab ihr Selbstbewusstsein und sorgte für das nötige soziale Netzwerk. Als sie und ihre Kolleg*innen aufgrund der Pandemie nicht mehr im Büro, sondern im Homeoffice arbeiten sollten, war das für sie von Anfang an eine große Herausforderung. Es gelang ihr nur schwer, sich zu Hause selbst zu organisieren, und als extrovertierte und gesellige Person fehlten ihr die persönlichen Kontakte vielleicht noch mehr als anderen. Sie suchte das Gespräch mit ihrer Führungskraft und äußerte den Wunsch, wieder im Büro arbeiten zu können. Ihr Anliegen wurde abgelehnt, ohne dass sie den Grund dafür wirklich verstehen konnte, da sowohl ihre Führungskraft als auch zwei andere Kolleginnen regelmäßig im Büro „sein durften“. Sie fühlte sich gekränkt und ungerecht behandelt. Natürlich war die erlebte Kränkung nicht die alleinige Ursache der Fehlzeiten, aber doch sicher mehr als nur ein Zünglein an der Waage
Tipp für Führungskräfte:
Entscheidungen zur Mobilarbeit begründen
Je nach Persönlichkeit kann mobiles Arbeiten ein
echtes Problem darstellen, etwa bei extrovertierten
Menschen mit einem hohen Bedarf an Kontakt
und Austausch, aber auch bei unsicheren Menschen, die von häufigen und zeitnahen Rückmeldungen ihrer Führungskräfte profitieren. Um
außerhalb des Büros und ohne persönliche Kontakte effizient arbeiten zu können, bedarf es auch
eines höheren Maßes an Eigenmotivation und
Selbstorganisation. Sonst wird es schwer. Für manche Menschen sind der Kontakt zu Kolleg*innen,
die Fahrt zur Arbeit, die Zeit „außerhalb“ der eigenen vier Wände oft wichtig für ein positives Lebensgefühl. Mitarbeitende, die gezwungen sind,
entgegen diesen Bedürfnissen und Werten zu
arbeiten, erleben das unter Umständen als massive Kränkung. Sollte dies aus betrieblichen Gründen unumgänglich sein, ist es wichtig, die Gründe dafür gut und glaubhaft zu kommunizieren
und im engen Kontakt mit diesen Mitarbeitenden
zu bleiben. Sich gekränkt oder ungerecht behandelt zu fühlen kann nach meiner Erfahrung schnell
zu innerer Kündigung, verminderter Leistungsbereitschaft und erhöhten Fehlzeiten führen. Das
sollten Sie unbedingt versuchen zu verhindern.
Hybrides Arbeiten
Ein Modell, welches sehr gut auf die Bedürfnisse von Menschen eingeht, ist das Modell des hybriden Arbeitens. Bei dieser Arbeitsform wird beides gelebt: Präsenzarbeitszeiten im Büro und mobiles Arbeiten von zu Hause oder anderswo. Einige der von uns betreuten Unternehmen haben so eine Mischform bereits etabliert: Zwei oder drei Tage in der Woche wird Präsenz im Büro erwartet, den Rest der Woche können die Mitarbeitenden selbst entscheiden, von wo aus sie arbeiten möchten. So werden soziale Kontakte und Teambindung wieder ermöglicht und gleichzeitig bleibt die Flexibilität für die Mitarbeitenden erhalten.
Natürlich brauchen hybride Modelle einen passenden Rahmen, sind nicht für jede Organisation geeignet und nicht für jeden Arbeitsplatz umsetzbar. Aus psychologischer Sicht stellt es aber ein empfehlenswertes Modell dar, eben weil es die Vorteile des mobilen Arbeitens und die Vorteile der Präsenzarbeit miteinander verbindet.
Fazit: Arbeitskonzepte außerhalb des klassischen Büros werden auch in Zukunft weiter an Bedeutung gewinnen und früher oder später ein wichtiger Aspekt der Arbeitgeberattraktivität werden.
Und wenn wir über die Vor- und Nachteile des mobilen oder hybriden Arbeitens reden, sollten wir vor allem nicht vergessen, die Menschen mitzudenken: Die individuelle Lebenssituation, Persönlichkeitseigenschaften, Werte und Motive der Mitarbeitenden und auch der Führungskräfte sind relevante Faktoren bei der Frage, welche Arbeitsform geeignet ist und gelingen kann.
Für mich wird durch das Thema mobiles Arbeiten noch einmal sehr deutlich, dass es immer weniger um Standardantworten gehen kann. Führungskräfte sind mehr denn je gefordert, nach zugeschnittenen Lösungen zu suchen und aufmerksam zu bleiben. Aufmerksam in Bezug auf die individuellen Bedürfnisse, Fähigkeiten, Ressourcen und Ängste der Mitarbeitenden und auch der eigenen.