Welche Rückmeldung erhalten Sie in puncto Umgang mit digitalen Medien aus Unternehmen, die Sie betreuen?
Tim Zwick:Aufgrund der Pandemie hat es natürlich einen ziemlichen Ruck hinsichtlich digitaler Medien gegeben. Die Digitalisierung musste, auch in kleinen Betrieben, sehr spontan umgesetzt wer-den. Insbesondere für sie war das eine große Belastung. Auch Führungskräfte standen aufgrund der neuen Situation, dass die meisten Mitarbeiten-den im mobilen Arbeiten sind, vor völlig neuen Herausforderungen. Viele sagten mir: „Wir sind nicht mehr gut in Kontakt mit unseren Mitarbeitenden. Wir wissen nicht, wie es ihnen geht, und können unsere Fürsorgepflicht als Arbeitgeber nicht mehr umfassend erfüllen.
Der Weg in die digitale Arbeitswelt ist mit vielen Herausforderungen verbunden. Was leistet die Selbstfürsorge in diesem Zusammenhang?
Tim Zwick:Selbstfürsorge braucht einen Zweck, keinen Selbstzweck, sondern sie ist ein Mittel, um etwas zu erreichen. Ich nutze an dieser Stelle gern ein Bild: Bei einer längeren Flugreise wird bei der Sicherheitsunterweisung gesagt: Beim Sauerstoffabfall immer zuerst die Maske aufziehen, damit man sich dann um andere Mitreisende und Kinder kümmern kann. Das bezeichne ich als Selbstfürsorge.
In bin in der Verantwortung, dafür zu sorgen, dass es mir gut genug geht, um für andere da zu sein. Habe ich meine eigene Fürsorge nicht im Blick, dann bin ich wiederum von anderen abhängig. Achte ich in dieser Situation nicht auf mich und ziehe den an-deren die Maske über, werde aber selbst ohnmächtig, dann leiden die Kinder und Mitreisenden. Da uns die Digitalisierung Energie raubt, wir mehr im „Außen“ sind, braucht es hier an vielen Stellen mehr Zielfokussierung in der Selbstfürsorge. Ein einstündiges virtuelles Gespräch belastet komplexer als ein Gespräch, bei dem wir uns real treffen. Wir sehen uns auf dem Bildschirm selbst, alles ist klein und zweidimensional, der Ton und das Bild sind nicht räumlich. Das ist anstrengend.
Warum ist Selbstfürsorge so wichtig?
Tim Zwick:Essenziell bei der Selbstfürsorge ist eine positive Selbstwahrnehmung. Wir brauchen ein Bewusstsein dafür, dass wir uns bedingt durch die Pandemie und die steigende Digitalisierung in einem Veränderungsprozess befinden. Es bedeutet, sich zu fragen und zu erkennen: Was verändert sich für mich? Womit geht es mir gut, womit geht es mir schlecht? Und dann auch den Mut zu haben, dies zu kommunizieren.
Es ist herausfordernd, den Leistungsgedanken mit dem Selbstfürsorgegedanken in Balance zu bringen. Denn wenn ich psychisch und emotional in mir ruhe, dann bin ich auf lange Sicht gedacht auch sehr leistungsfähig. Gehe ich emotional und psychisch immer über mein Limit, laufe ich Gefahr, auch psychisch auszufallen – acht, zehn oder zwölf Wochen lang. Das will niemand. Burnout ist das Ende einer Erschöpfungslinie. Wenn ich mich immer wieder emotional psychisch erschöpfe, dann bin ich auf dem Weg dahin. Und psychische Erkrankungen steigen seit einigen Jahren, die Ausfallzeiten sind teilweise achtfach so lang wie bei einer körperlichen Erkrankung.
Arbeitsunterbrechungen sind sehr erschöpfend, Stichwort Multitasking. Warum funktioniert das nicht?
Tim Zwick:Unser Gehirn hat mehrere Modi. Es kann im Autopilot spazieren gehen, Auto fahren oder auch komplexen Tätigkeiten nachgehen, wie etwa Arbeitspläne aufstellen. Heute gibt es die dafür benötigte Energie – sprich Nahrung – im Überfluss. Wir können sie uns im Supermarkt jederzeit kaufen, aber das war nicht immer so. Unser Gehirn versucht daher so oft wie möglich, den Leistungsmodus einzuschränken. Brauchen wir zwei oder drei Leistungsmodi für komplexe Tätigkeiten, ist das für unser Gehirn zu viel.
Zwingen wir es, indem wir beispielsweise gleichzeitig eine Mail schreiben und ein Gespräch nachvollziehen, dann springt unser Gehirn zwischen den Tätigkeiten hin und her. Das führt dann dazu, dass nicht nur mehrere Tätigkeiten gleichzeitig offen sind, sondern auch noch Reibungsverluste durch das Hin- und Herwandern entstehen. Das Gehirn konzentriert sich dann auf eine Sekunde E-Mail, dann auf eine Sekunde Telefonat. Das ist sehr anstrengend. Im Leistungsmodus mehrere Sachen parallel zu machen, ist energetisch suboptimal.
Bei all der Anstrengung – warum ist Abschalten so schwierig? Viele finden sich am Abend auf der Couch wieder, die Fernbedienung in der einen, das Smartphone in der anderen Hand und die Gedanken bei der Arbeit.
Tim Zwick:Das hängt in der Tat zusammen. Wenn wir so arbeiten, wie ich gerade beschrieben habe, trainieren wir unser Gehirn natürlich auch. Wir trainieren es, acht Stunden mit Höchstleistung und zielorientiert zu arbeiten. Dann können wir nicht im Anschluss den Laptop zuklappen und sagen: So, und jetzt Entspannung, jetzt Couch, Netflix oder Spazierengehen. Unser Gehirn ist immer noch im Arbeitsmodus. Wir verlangen den ganzen Tag Hochleistung und dann das Gegenteil. Das ist nicht machbar, weil wir es nicht trainiert haben, in den anderen Modus umzuschalten.
Wie können wir es dennoch schaffen, loszulassen?
Tim Zwick: Indem wir auch schon während der Arbeitszeit versuchen, andere Bahnen im Gehirn anzusteuern. Beispielsweise durch kleine Reflexions- und Pauseneinheiten. Oder dadurch, dass wir unser Gehirn herausfordern, indem wir das Telefon mit links greifen statt gewohnheitsmäßig mit rechts. Das sind Kleinigkeiten, bei denen das Gehirn merkt: Hoppla, hier ist etwas anders. So trainieren wir das Umschalten und auch die Kreativität. Geht unser Gehirn öfter neue Bahnen, bleibt es weniger in alten Bahnen hängen.
Führt diese Flexibilität, sofern ich sie während der Arbeit umsetze, dann dazu, dass ich nach Feierabend meine gewohnten Bahnen durchbrechen kann?
Tim Zwick:Genau! Wenn wir versuchen, diese Erholungspausen bei der Arbeit auch wirklich zu nutzen, können wir eine Veränderung spürbar machen. Wir müssen dazu nicht eine Stunde durch den Wald spazieren gehen. Es sind Kleinigkeiten, die einen Unterschied machen. Dazu passt ein Zitat, das ich unlängst gelesen habe: Verbringe jeden Tag einige Zeit mit dir selbst. Das machen wir in der Regel nicht. Wir verbringen den ganzen Tag mit Aufgaben: Arbeit, Kinder, Sport, Einkaufen, Bügeln, was auch immer. Dabei gehen wir unter. Es ist wichtig, den Kontakt zu uns zu finden, uns selbst wahrzunehmen. Nur, wenn es uns gut geht, sind wir in der Lage, dafür zu sorgen, dass wir uns um Menschen, die uns wichtig sind, kümmern können. Das ist die Verantwortung jedes Einzelnen.
Arbeiten von zu Hause bedeutet auch, dass Kommunikation digital abläuft, weniger persönlich. Wie entstehen Missverständnisse und wie können wir ihnen vorbeugen?
Tim Zwick:Chattet man nur, fehlen Informationen, beim Telefonieren gibt es einige mehr durch die Stimme, sieht man sich per Teams, ist das noch besser. Doch je mehr Informationen in der Kommunikation fehlen, auch über Geruch, Wahrnehmung, Körpersprache, desto mehr Interpretationsraum gibt es. Unser Gehirn neigt dazu, diesen Interpretationsraum zu füllen. Doch unter Umständen ist unsere Interpretation nicht passend.
Wichtig ist daher, nachzufragen: „Habe ich das richtig verstanden? Hast du das so und so gemeint?“ Das gilt gleichermaßen für Mitarbeitende wie für Führungskräfte. Und: Je emotionaler ein Thema ist, desto mehr Informationen braucht es. Das können Konflikte sein, Tagesaufgaben, bei denen es Unklarheiten gibt, et cetera. Körpersprache vermittelt weitaus mehr.
Welche Tipps können Sie uns noch geben für ein gesundes mediales Klima?
Tim Zwick: Oftmals höre ich in Beratungen Sätze wie: „Ich habe gar kein Recht, mich zu beschweren. Anderen geht es doch noch viel schlimmer und ich habe doch alles.“ Meine Antwort darauf ist, dass ein kleiner Schmerz nicht harmlos ist, nur weil es einen größeren gibt. Alle Gefühle und Sichtweisen, die da sind, dürfen da sein. Das gilt auch, wenn ich unsicher bin, ob ich alle Programme, die ich neu lernen soll, verstehe, oder nicht weiß, wie ich Teams einrichte oder Webex. Das ist legitim. Ich bin nicht langsam oder schwer von Begriff, nur weil ich etwas nicht sofort verstehe.
Und wir werden immer schneller. Wir machen zwei Mausklicks, um von einem Meeting ins nächste zu wechseln. Unser Gehirn kriegt das hin, weil wir es fordern und trainieren. Aber für die Emotionen ist das schwer: Wir sind mit zehn Leuten in einem Raum, stellen uns darauf ein, arbeiten auch mit ihnen emotional – und ein Mausklick und wir sind mit zehn anderen in einem Raum, auf die wir uns einstellen müssen. Unsere Emotion haben eine andere Taktung, eine sehr alte Taktung. Emotionen brauchen Zeit, sich auf Neues einzustellen, auch wenn der Verstand schon längst da ist.
Pausen sind in diesem Zusammenhang doch sicher ebenfalls wichtig?
Tim Zwick: Ja. Neue Reize für unser Gehirn sorgen auch für neue Bahnen. Das heißt Pausen möglichst nicht am Arbeitsplatz verbringen, das heißt nicht das Brot oder den Joghurt am Arbeitsplatz essen und dabei wieder auf den Bildschirm schauen, sondern den Raum wechseln und die Pause nicht digital verbringen. Sonst sind wir drei Wochen in Urlaub und benötigen die ersten anderthalb Wochen dazu, um unser Gehirn auf etwas Neues einzustellen.