Moderation:
Britta Pesch (BAD-Unternehmenskommunikation)
"Unternehmen sollten Alkoholsucht enttabuisieren"
SUCHT AM ARBEITSPLATZ
"Unternehmen sollten Alkoholsucht enttabuisieren"
Fast jeder zehnte Deutsche konsumiert Alkohol in „gesundheitlich riskanter Weise“. 7,9 Millionen Menschen trinken demnach täglich ein bis zwei kleine Gläser Bier. Das sei weiterhin mehr als im weltweiten Durchschnitt und könne krank machen, erklärt die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen.
Was aber, wenn eine Alkoholsucht auch den Job beeinflusst? Wann sollte eine Führungskraft einen möglicherweise süchtigen Mitarbeitenden ansprechen? Was können Unternehmen präventiv tun? Antworten von Frank Müller, Berater Gesundheitsmanagement und interner Suchtbeauftragter bei BAD.
Warum sind Sie Suchtbeauftragter geworden?
Frank Müller: Meine Beratung zeigt mir immer wieder, dass es Situationen gibt, die dazu führen, dass Menschen sehr schwer krank werden, dass diese Menschen mit dieser Erkrankung, denn Sucht ist eine Erkrankung, immer schwerer klarkommen. Und letztendlich ist es sehr wichtig, mit Fachkompetenz, mit Wissen die Beteiligten zu unterstützen, vertrauensvoll mit ihnen zu arbeiten und Menschen Wege aufzuzeigen, um aus dieser Erkrankung, aus dieser Sucht auch wieder herauszukommen. Und ich kenne gute positive Beispiele, wo das gelungen ist und das gibt mir auch die Zuversicht und den Mut, dass genau diese Tätigkeit hilfreich sein kann.
Aber ich kenne leider auch Fälle, in denen Menschen sterben mussten an ihrer Krankheit. Und das ist ein ganz wichtiger Motivator für mich, diesen Menschen zumindest Hilfe aufzuzeigen und ihnen zu zeigen, sie können auch diese schwere Krankheit überwinden.
Erzählen Sie uns gerne einmal ein positives Beispiel…
Frank Müller: Vor ein paar Jahren wurde ein Mitarbeitender von seiner Führungskraft vertrauensvoll zu seiner Erkrankung angesprochen. Und er hat es auch zugegeben, was relativ selten sofort passiert, und Hilfe angefragt, weil er es nicht mehr von allein schaffen konnte. Mit professioneller Begleitung konnte dem Mitarbeitenden Wege aus der Sucht aufgezeigt werden. Nach dieser Erkrankung, nach der erfolgreichen Therapie, ist der Mitarbeitende wieder sehr wertvoll fürs Unternehmen geworden. Er engagiert sich jetzt sogar selbst aktiv in Suchthilfe.
Was können Unternehmen präventiv tun, damit Mitarbeitende nicht in eine Sucht verfallen?
Frank Müller: Es ist enorm wichtig, dass eine Geschäftsführung ein klares Statement zu diesem Thema hat und auch Initiativen unterstützt, die gegen diese Suchtmittel-Missbräuche sind. Auch sollte ein Unternehmen schriftlich festhalten, welche Schutzmöglichkeiten für die unterschiedlichsten Beteiligten, für jeden Mitarbeitenden und für alle Führungskräfte, bestehen. Und ein Unternehmen sollte immer wieder über das Thema informieren und enttabuisieren.
Wie beeinflusst Sucht die eigene Leistungsfähigkeit?
Frank Müller: Wir sprechen auch von Psycho-Drogen: Alkohol verändert das Verhalten, das Sprechen, verschiedene Ebenen. Alkohol kann beruhigen, aufregen, aggressiv machen. Und wir können dadurch auch vergessen. Im Arbeitsverhalten kann sich das so zeigen, dass Menschen immer öfter unpünktlich zur Arbeit erscheinen oder reichen regelmäßig Krankheitstage in Verbindung mit einem Wochenende oder Feiertagen ein. Und die Leistungsfähigkeit nimmt ab. Man braucht länger für Aufgaben, die Qualität leidet. Es werden öfter Fehler gemacht, die es früher nicht gab.
Da ist es hilfreich, wenn man einen Mitarbeitenden längere Zeit schon kennt und die Situation einschätzen kann. Weitere Auffälligkeiten kann es im sozialen Verhalten geben: Menschen, die früher locker und unbeschwert waren, sich auf einmal zurücknehmen und sich isolieren. Auf Betriebsfeiern kann es vorkommen, dass Betroffene mehr und schneller Alkohol trinken als jeder andere. Suchtkranke Menschen können sich zudem derart verändern, dass sie nicht mehr so gepflegt sind, wie man sie früher kannte.
Welche Rolle hat die Führungskraft in solch einer Situation inne?
Frank Müller: Eine Führungskraft sollte die erste Person sein, die solche Themen anspricht. Aber auch jede*r andere Kollege oder Kollegin, die das wahrnimmt, hat die Möglichkeit, den betroffenen Mitarbeitenden anzusprechen. „Du, ich mache mir Sorgen, ich habe das Gefühl, du hast da ein Problem.“
Aber: Dies traut sich natürlich kaum jemand. Für Betroffene kann es sehr wichtig sein, angesprochen zu werden, um die Last, die sie vielleicht seit Jahren in sich tragen, äußern zu können und zu sagen: Ja, ich habe das Problem und ich bin dankbar, dass du mich ansprichst. Jetzt ist es raus und jetzt brauche ich Hilfe.
Es baut sich auch eine Schuld bei denjenigen auf, die eine Alkoholsucht wahrnehmen und die Betroffenen nicht ansprechen.