“Prävention beginnt im Kopf" – Wie Arbeitsschutz zu sinkenden Unfallzahlen beiträgt

Interview

Gute Nachrichten: Die Zahl der Arbeitsunfälle ist im vergangenen Jahr deutlich gesunken! Doch woran liegt das? Wir haben Philip Dehm, BAD-Fachkraft für Arbeitssicherheit, gefragt. Er verrät, welche Rolle Prävention spielt – und warum Künstler:innen besonders gefährdet sind. Außerdem: Warum trifft es Männer häufiger als Frauen?

Inwieweit unsere Arbeit zu den Zahlen beiträgt, welche die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin gerade zu Arbeitsunfällen vorgelegt hat, weiß unser Experte Philip Dehm, Fachkraft für Arbeitssicherheit. Diese belegen nämlich deutlich, dass meldepflichtige Arbeitsunfälle weniger und die mit tödlichem Ausgang seltener geworden sind. So wurden 1960 noch mehr als 2,7 Millionen Arbeitsunfälle gemeldet, 1990 nur noch 1,7 Millionen und 2023 weniger als eine Million, rund 900.000. Bei diesen positiven Entwicklungen wollten wir natürlich wissen, ob Prävention noch mehr leisten kann. Philip Dehm hat da eine klare Antwort: Wir müssen alle den Kopf noch mehr einschalten.

 Die Zahlen für Arbeitsunfälle sind in den vergangenen Jahren kontinuierlich gesunken. Was sind die wichtigsten Faktoren, die dazu beitragen?

 Philip Dehm: Heute sind Maschinen und Technik im Vergleich zu früher wesentlich sicherer. Es werden Schranken und Sicherheitsmechanismen eingebaut, die sehr effektiv Unfälle verhindern und Menschen schützen. Aber auch das Konzept, welches gesetzliche Unfallversicherungen zusammen mit Unternehmen wie BAD etabliert haben, hat sich bewährt: zuerst die Technik optimieren, damit Maschinen sicher bedient werden können, dann die Organisation rund um die Arbeit so gestalten, dass immer weniger Fehler passieren können, und als Letztes, aber verletzlichstes Glied in der Kette, die Menschen so ausstatten, dass sie sicher sind. Stichwort Arbeitshandschuhe, Helme, Sicherheitsschuhe etc. Bekannt ist dieses Vorgehen als „TOP-Prinzip“. Es beschreibt die Rangfolge der Schutzmaßnahmen in der Arbeitswelt, die mit technischen Maßnahmen beginnen, gefolgt von den organisatorischen und beendet von den personenbezogenen. 


 Was kann Prävention noch leisten, um Arbeitsplätze sicherer zu machen? Welche Chancen und Möglichkeiten siehst du?

 Dehm: Prävention beginnt im Kopf! Technik und Arbeitssicherheitsmaßnahmen sind mittlerweile so weit fortgeschritten, dass die größte Fehlerquelle der Mensch ist. Die wirksamste Prävention ist meines Erachtens, das Safety Mindset der Mitarbeitenden zu schärfen. Das heißt: Wir müssen das Bewusstsein der Menschen schärfen, immer achtsam zu sein und nicht aus Müdigkeit, Langeweile, Überheblichkeit, Übermut oder Eile, Hektik und Stress Situationen falsch oder oberflächlich einzuschätzen. Denn die meisten Unfälle passieren aus Routine. Zum Beispiel: Wenn man etwas schon immer so gemacht hat – wie Fahrradfahren ohne Helm – und es jedes Mal gut gegangen ist, fühlt man sich sicher und wird auch beim nächsten Mal keinen Helm tragen. Übertragen auf den Arbeitssicherheitsbereich hieße das, dass die Gefährdungsbeurteilung fehlt und entsprechend keine präventiven Maßnahmen eingeleitet werden.


 Die meisten Arbeitsunfälle passieren erwartungsgemäß im Baugewerbe. Hier verunfallen 55 pro Tausend Mitarbeitenden, dicht gefolgt vom Wirtschaftszweig „Kunst, Unterhaltung und Erholung“ mit 50 pro Tausend. Wie kommt es, dass in diesem harmlos klingenden Zweig mehr Unfälle passieren als in der Lager- und Logistikbranche (41 pro Tausend)?   

 Dehm: Dafür gibt es viele Gründe. Zum Beispiel gibt es an Kunsthochschulen und in Ateliers viele Materialien, unordentliche Räume und kreatives Potenzial – aber eher wenig Bewusstsein für Sicherheit.  Farben, Lösungsmittel und viele andere Utensilien sind leicht entflammbar, aber wenn Künstlerinnen und Künstler am Werk sind, steht Brandschutz nicht an erster Stelle. Oder denken Sie an das Filmgewerbe! Da herrschen Hektik, Stress und viele Beteiligte sind übermüdet. Szenen müssen schnell gedreht werden, Eitelkeiten der Schauspieler:innen, Regisseur:innen bedacht werden – da achten die wenigsten auf Sicherheit oder Vorschriften. Aber Unachtsamkeit ist gefährlich. Als Präventionsmaßnahme wurden Sicherheitsprotokolle eingeführt. Sie sollen das Mindset, das Bewusstsein schärfen. Indem die Beteiligten Abläufe definieren, erkennen sie mögliche Gefährdungen und halten im Protokoll fest, was davon geprüft wurde. So kann auch für extreme Situationen mehr Sicherheit geschaffen werden. 


 Laut Statistik haben wesentlich mehr Männer Arbeitsunfälle als Frauen. 71,6 Prozent der meldepflichtigen und 90,2 Prozent der tödlichen Arbeitsunfälle erleiden Männer. Woran liegt das?

  Dehm: Frauen sind oft analytischer und schätzen Gefahren sorgfältiger ab als Männer. Das trägt sicherlich dazu bei. Aber natürlich liegt das auch an den Frauenquoten in einigen Berufen. So liegt der Frauenanteil im Bauhauptgewerbe bei rund 2 Prozent. Auf Baustellen arbeiten also hauptsächlich Männer und da passieren Unfälle viel schneller als beispielsweise am Schreibtisch oder im Einzelhandel.

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