"Nudging hilft, die gesündere Option zu wählen"

Interview

Bewusst ungesundes Verhalten nehmen wir oft in Kauf. Wieso wir das machen und welche Möglichkeiten es gibt, dieses Verhalten zu verändern, verrät Dr. Tilo Gold, Berater Gesundheitsmanagement bei BAD.

 Warum ist es für Menschen trotz zahlreicher Unterstützungsangebote so schwer, generell das Gesundheitsverhalten zu ändern?

 Dr. Tilo Gold: Hierfür sind mehrere Faktoren mitverantwortlich: Einmal Trägheit und Prokrastination, d.h. Menschen halten meist einen bestimmten Zustand aufrecht, verharren in ihren (Verhaltens-)Routinen und Mustern und gehen durchaus gerne den Weg des geringsten Widerstandes. Einen zweiten Faktor nenne ich „Framing und Präsentation“. So wird menschliches Verhalten dadurch beeinflusst, wie Entscheidungsoptionen dargeboten werden. Wenn es beispielsweise Süßigkeiten gibt, werden sie eben gegessen.


 Wir sind von Natur aus träge und bequem?

 Dr. Tilo Gold: Grundsätzlich scheint zu gelten, dass Menschen das tun, was angenehm scheint, und ohne großen Aufwand gemacht werden kann: Gibt es eine Abkürzung, wird diese genommen.


 Sie sprachen von mehreren Faktoren für unser ungesundes Verhalten…

 Dr. Tilo Gold: Ja! Als dritter Faktor spielen soziale Einflüsse und Normen eine gewichtige Rolle. So ist das Verhalten eines Individuums durch andere Menschen stark beeinflussbar. Der vierte und letzte Faktor: Wir schätzen oft Wahrscheinlichkeiten falsch ein. Vor allem, wenn es um sich selbst geht. Menschen sehen ihre eigene Person im Vergleich zu ihren Mitmenschen tendenziell als weniger gefährdet an. Wir unterschätzen wirkliche und häufige Bedrohungen, wie etwa einen Herzinfarkt infolge von Bewegungsmangel oder durch Übergewicht.


 Wie kommen wir zu so einem Denken?

 Dr. Tilo Gold: Weil wir glauben, wir hätten Handlungsmöglichkeiten. Wir überschätzen dagegen Gefahren, die uns selten berühren. Wie wahrscheinlich ist es von einer Schlange gebissen zu werden oder von einem Flugzeugabsturz betroffen zu sein? Menschen haben davor Angst, weil Sie sich einfach auch ein Stück ausgeliefert fühlen.


 Wie kann Nudging dem aktuellen Gesundheitsverhalten entgegenwirken?

 Dr. Tilo Gold: Es geht darum eine Entscheidungsarchitektur zu gestalten. Auf  „Nudging“ bezogen: Wie kann man die Umgebung so gestalten, dass Menschen sich „automatisch“ gesünder verhalten? Diese ‚Verhaltensstupser‘ können in wiederkehrenden Situationen helfen, die bessere, also gesunde, Option zur einfacheren zu machen.


 Können wir uns auch selbst "nudgen"?

 Dr. Tilo Gold: Ja! Nehmen wir an, Sie möchten gerne täglich mehr Wasser trinken. Dann hilft es sehr, wenn wir es uns so einfach wie möglich machen. Aus großen Gläsern trinkt man mehr, öfter und eher als aus einer Flasche, die man erst aufmachen muss. Beim großen Glas trinken wir mehr, weil es länger dauert, bis es leer ist. Jedes Mal, wenn das Glas leer ist, wird eine Entscheidung von uns verlangt: Fülle ich Wasser nach oder lasse ich es leer? Tendenziell verharre ich im Status Quo und fülle das Glas nicht nach.


 Selbst wenn Nudging erfolgversprechend klingt, wie nachhaltig ist das Konzept?

 Dr. Tilo Gold: Das weiß man leider noch nicht, das Thema ‚Nudging‘ ist ja noch relativ neu.


 Werden wir nicht permanent von Werbung, etwa an der Supermarktkasse beeinflusst, uns ungesund zu verhalten??

 Dr. Tilo Gold: Ja! Manchmal ist es etwa sinnvoll, einfach nochmal einen Schritt gedanklich zurück zu gehen. Und zu überlegen, warum wird mir das teuerste Produkt im Supermarktregal auf Augenhöhe präsentiert? Man sollte bewusst prüfen, ob es ähnlich gute, nicht ganz so teure Artikel gibt, die aber eine Etage tiefer oder höher im Regal auslegen. Oder Musik im Supermarkt: Hier kann man oftmals erleben, dass klassische Musik unser Konsumverhalten steuert, und man Lust auf Wein bekommt, weil ich Wein mit Klassik und Genuss assoziiere. Auch hier sollte ich mich fragen, ob ich wirklich Lust auf Wein habe.


 Ein Blick in die Praxis: Was ist der erste Schritt für Arbeitgeber wie Arbeitnehmende, um mit dem Nudging anzufangen?

 Dr. Tilo Gold: Die Grundlage besteht im Kennenlernen des Mitarbeitenden. Was macht der Mitarbeitende am Tag: Wo gibt es Möglichkeiten oder eben auch Gefährdungen? Wir wenden hier das Konzept des „Design Thinkings“ an - ein Ansatz, der zum Lösen von Problemen und zur Entwicklung neuer Ideen führen soll. Auf der Basis ist es zudem wichtig, ein Ziel zu formulieren: Was möchte ich erreichen? Ist es mehr Bewegung, besseres Essen, sicheres Verhalten…?

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