Gesundes Essen ist die beste Medizin

Interview

Toastbrot und Nutella zum Frühstück, Bratwurst und Pommes zum Mittagessen, zwischendurch einen Müsliriegel und abends die Fertiglasagne: Warum wir einen solchen Ernährungsplan ändern sollten und wie es gelingt, Essgewohnheiten in kleinen Schritten zu verändern, erklärt Ernährungsmediziner Dr. Matthias Riedl.

Dr. Matthias Riedl ist ärztlicher Direktor und Gründer von Europas größtem Zentrum für Diabetologie und Ernährungsmedizin, dem Medicum Hamburg.

  Warum ist das Thema gesunde Ernährung und Medical Cuisine wichtig?

 Dr. Matthias Riedl: In meiner über 30-jährigen Tätigkeit als Arzt habe ich festgestellt, dass viele Menschen ernährungsbedingte Krankheiten haben. Diese Tendenz steigt weiter. Die Antwort der klassischen Medizin ist leider: Messer oder Tablette. Das ist eine Fehlentwicklung. Wir können mit Ernährung Leid verhindern, Krankheiten vorbeugen oder gar lindern und manchmal sogar auch heilen. Sehr häufig wird Ernährungstherapie und -medizin mit Askese verbunden. Dem ist nicht so. Viele haben Verbotslisten im Kopf und denken, sie müssten auf ihr Lieblingsessen verzichten, wenn es um Ernährungsumstellung geht. Das muss aber gar
nicht sein. Oft reicht es, diese Gerichte gesundheitlich zu optimieren.


  Wie kann es denn zu einem Umdenken in Richtung gesunde Ernährung kommen? Die Lebensmittelindustrie setzt ja eher auf Fast Food, Fertiggerichte und hoch Verarbeitetes.

  Dr. Riedl: Das ist ein wichtiger Punkt. Wir haben tatsächlich ein großes Problem, Fertigprodukte bringen uns eher ins Grab. Neben dem häufigen Konsum zu Hause gehen wir auch davon aus, dass rund 80 Prozent der deutschen Restaurants Fertiglebensmittel verwenden und nicht alles frisch zubereiten. Das fängt bei der Sauce Hollandaise an, geht bei Zaziki weiter bis hin zu Salatsoßen. Mittlerweile hat sich schon eine Industrie etabliert, die koplette Mahlzeiten, im Plastikbeutel eingeschweißt, mit Geschmacksverstärkern an die Gastronomie liefert. Das wird dann nur noch aufgewärmt.

Überdies ist es so, dass in unserer Gesellschaft gar kein Gefühl mehr dafür besteht, wie man sich tatsächlich gesund ernährt. Wir haben Jahrzehnte der Werbung hinter uns, in der bestimmte Einzelinformationen propagiert wurden. Wie zum Bespiel: Du musst fettarm essen. Dann gab es die Welle der Lightprodukte und der Vitamine. Und schließlich unzählige Diäten, die letztlich alle darauf abzielten, entweder Kasse zu machen oder sich so einzuschränken, dass man es auf Dauer nicht eingehalten hat und es zum Jo-Jo-Effekt kam.

Eine Diät macht man vielleicht mal zwei Monate, das ist aber wie eine Zwangsjacke. Und keiner hat Lust, das das ganze Leben zu machen. All das sorgt für große Unsicherheit. Hinzu kommt noch der Expertenstreit, ob beispielsweise Low Carb oder Low Fat das Richtige ist. Die Studienlage ist uneinheitlich. Viel wichtiger ist jedoch letztendlich, was ich esse, und nicht, ob es Low Carb oder Low Fat ist.


  Was halten Sie denn von Diäten und Fasten? Das führt doch sicher oft zur Frustration ...

  Dr. Riedl: Genau so ist es. Wer in seinem Leben ein paar Diäten gemacht hat, die alle fehlgeschlagen sind, lernt daraus, dass er nicht in der Lage ist, abzunehmen. Wir nennen das in der Ernährungspsychologie die Selbstwirksamkeit, die dadurch beschädigt wird. Daher ist jede Diät ein Schaden für den Menschen. Doch Diäten rangieren beim Thema Abnehmen immer noch an erster Stelle. Am Anfang verliert man ja auch Gewicht, da es ein Eingriff in die Ernährungsautonomie ist. Aber niemand will nach fremden Vorgaben leben. Und beim Essen
geht es darum, satt zu werden, und es soll Spaß machen. Daher ist es wichtig, diese beiden Bedürfnisse zu befriedigen. Geschieht das nicht, ist eine Ernährungstherapie sinnlos. Wenn ich einem klassischen Fleischesser vorschreibe, auf Fleisch zu verzichten, erreiche ich ihn nicht. Aber vielleicht überzeuge ich ihn zu gesünderer Ernährung, wenn der Fleischanteil ein wenig reduziert ist. Es sind die kleinen Schritte, die zum Erfolg führen.


  Ihre favorisierte Methode zur Ernährungsumstellung ist das 20:80-Prinzip. Was genau heißt das?

  Dr. Riedl: Wir arbeiten im Medicum Hamburg mit dem Paretoprinzip; das ist abgeleitet aus dem Kaufmännischen: Mit 20 Prozent meiner Kunden mache ich 80 Prozent meines Umsatzes. Ähnlich läuft es bei der Ernährungsumstellung: Erkenne ich die wichtigsten Fehler, kann ich maximalen Erfolg erzielen. Wenn wir unsere Ernährungsgewohnheiten näher
betrachten, fällt der hohe Zuckerkonsum sofort ins Auge.

Er liegt über dem Vier- bis Fünffachen von dem, was die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt, nämlich 25 Gramm täglich. Viele Menschen nehmen 150 bis 200 Gramm am Tag zu sich. Dazu der mangelnde Konsum von Gemüse, das ständige Snacking, insbesondere von Kohlenhydraten, zu hoher Fleischverzehr und häufig bei Frauen zu wenig Eiweiß. Oftmals ist nicht das Stück Weißbrot am Morgen das Problem. Esse ich aber 150 Gramm Zucker täglich und kaum Gemüse – was übrigens oft zutrifft –, dann gehe ich diese Dinge an und verändere den Gemüsekonsum. Der sollte idealerweise bei 500 Gramm liegen. Justiere ich also Zu-
cker- und Gemüsekonsum und die Mahlzeitenhäufigkeit neu, wirkt sich das auf das Körpergewicht aus.


  Wie erkennt man beim Einkaufen im Supermarkt, in welchen Lebensmitteln Zucker enthalten ist?

 Dr. Riedl: Hauptübel sind neben dem Zucker tatsächlich die hoch verarbeiteten Mehle und die Kohlenhydrate in Fertigprodukten, die rasch vom Darm als Blutzucker ins Blut übergehen. Der Zucker aus diesen Produkten, die wir leider im Übermaß genießen, steigert den Blutzucker, der Körper reagiert mit der Ausschüttung von Insulin. Dieses wiederum hat nicht nur die Aufgabe, den Blutzucker zu senken, sondern ihn auch in die Zellen einzubauen und
damit Fett aufzubauen. Insulin ist sozusagen das Fettaufbauhormon. Wenn wir das dauernd essen, zusätzlich zu viel Kohlenhydrate zu uns nehmen, werden wir automatisch dick.
Nehmen wir das Beispiel Müsliriegel: Mancher enthält genauso viel Zucker wie Schokolade. Das sieht zunächst gesund aus, ist vielleicht noch mit Ballaststoffen und Vitaminen angereichert. Aber es bleibt dennoch eine Süßigkeit und kein gesundes Müsli. Zucker lässt uns kurzfristig wohlfühlen, dann fallen wir mit sinkendem Blutzucker wieder in ein Tief.


  Zucker ist so eine Art Sucht, oder?

 Dr. Riedl: Tatsächlich haben wir es beim Zucker mit suchtähnlichen Situationen zu tun. Ein Beispiel: Viele Menschen entwickeln Gewohnheiten. Sie kommen nach Hause und wollen sich etwas Gutes tun, sich etwas gönnen nach dem Arbeitstag. Und sie greifen zur Tafel Schokolade oder Ähnlichem. Vielfach sind das erlebte und erlernte Dinge, die wir von unseren Eltern haben. Da ist zum Beispiel das Trostbonbon. Dem Kind geht es nicht gut, es bekommt
etwas Süßes und es geht ihm vermeintlich besser. Kinder mit Süßigkeiten zu trösten ist der erste Schritt, Zuckerabhängigkeiten zu fördern. Sind wir als Erwachsene in einer Situation, in der es uns nicht gut geht, reagieren wir genauso: Wir gönnen uns die Schokolade, denn wir haben sie uns ja verdient.


  Wie sieht es unter dem Aspekt gesunder Ernährung mit dem Fleischkonsum aus?

 Dr. Riedl: Wir brauchen tatsächlich in geringem Maß tierische Produkte, als Beikost. Leben wir rein vegan, erleiden wir auf Dauer einen B12-Mangel. In Deutschland ist die Entwicklung jedoch dahin gegangen, dass fast täglich Fleisch auf dem Speiseplan steht. Dies ist quasi die Perversion einer artgerechten Ernährung, wie Menschen sie brauchen. Der Mangel an Pflanzen ist einer der Hauptgründe dafür, dass 60 Prozent der Bevölkerung zu dick sind, dass wir einen Diabetesanteil von bis zu 30 Prozent in den höheren Altersklassen haben. Das ist das Ergebnis einer jahrzehntelangen Fehlernährung. Fleisch hat den Konsum von Gemüse verdrängt. Wir benötigen davon ebenso wie von tierischen Produkten wie Milch, Käse oder Ei nur Fitzel. Die Massenproduktion von Fleisch hat obendrein dazu geführt, dass Fleisch Omega-3-fettsäurearm ist und Rückstände von Antibiotika enthält. Insofern ist es besser, auf Bio-Fleisch zurückzugreifen, wenn man schon nicht auf Fleisch verzichten will. Bioprodukte sind oft deutlich hochpreisig.


  Was empfehlen Sie Menschen, die sich Bioprodukte finanziell nicht leisten können?

 Dr. Riedl: Außer bei Fleisch müssen es nicht immer Bioprodukte sein. Für unsere Gesundheit sind zweimal die Woche 50 bis 100 Gramm völlig ausreichend. Wer einen schmaleren Geldbeutel hat, greift zu regionalen Produkten. Kohl zum Beispiel kann man
auch einmachen, also fermentieren. Er ist schnell gemacht und super für die Darmflora.


  Wie ist es denn möglich, gesündere Essgewohnheiten zu entwickeln?

  Dr. Riedl: Ich empfehle, sich wirklich einmal bewusst zu machen, was man isst, denn sonst können wir unsere Fehler gar nicht erkennen. Der erste und einfachste Schritt ist, seine normale Ernährung in unsere neue Ernährungstherapie-App „MyFood-Doctor” einzugeben, vier oder fünf Tage lang ein Tagebuch zu führen und sich dann die Auswertung anzuschauen. Da kriegt man alles gespiegelt: den Zuckerkonsum, den Gemüsekonsum, die Esshäufigkeit, die Kalorienzahl ... Dann kann man überlegen, was man ändern will. Aber nicht zu viel ändern.
Kleine Schritte, tiny habits, wie die Amerikaner sagen. Dann stellt sich das Erfolgserlebnis eher ein und wir stolpern nicht so schnell.

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  Haben Sie bereits Erkenntnisse darüber, welche Folgen die regelmäßige Nutzung von Exoskeletten haben kann?

  Ralf Schick: Wir verfügen momentan nur über Anhaltspunkte, nicht über wissenschaftlich fundierte Untersuchungen. Wir wissen aber bereits, dass die aktuellen Exoskelette im Markt meist nur eine Körperregion unterstützen und es somit denkbar ist, dass Lasten auf andere Körperbereiche umverteilt werden. Druckstellen, Hautabschürfungen und -reizungen bei längerem Tragen sowie langfristig ein Muskelabbau sind denkbar. Wir können noch nicht beurteilen, ob bei Überkopfarbeiten mit Durchblutungsstörungen zur rechnen ist, weil man länger als normal Arme und Hände über den Kopf hält.


  Wann sollte ein Unternehmen auf Exoskelette verzichten?

  Ralf Schick: An stationären Arbeitsplätzen, etwa in einem Lager, in einer Produktions- oder Fertigungshalle, wo Lasten manuell gehoben werden, müssen unserer Meinung nach Exoskelette nicht generell eingesetzt werden. Es gibt hier viele andere technische Lösungen, wie etwa eine Hebehilfe, ein Vakuumlifter, Kran oder Stapler. Jedes Unternehmen muss individuell prüfen, ob alle technischen Möglichkeiten ausgeschöpft sind, bevor sie sich für ein Exoskelett entscheiden.

Auch Nebentätigkeiten können ein Problem darstellen. Nehmen wir das Berufsbild des Kommissionierers: Das Exoskelett unterstützt zwar beim Heben der Last, wenn ich das Gewicht aber drei bis vier Meter zum Kommissionsgerät tragen muss, könnte es mich in meiner Bewegungsfreiheit einschränken. Zudem könnte mich das Exoskelett beim Fahren des Kommissioniergerätes behindern.


  Was muss Ihrer Meinung nach noch von Seiten der Hersteller in Sachen Arbeitsschutz erledigt werden?

  Ralf Schick: Das ist ein Entwicklungsprozess. Wir planen im Rahmen eines Projekts, verfügbare Exoskelette hinsichtlich ihrer Sicherheit und Gesundheit für Beschäftigte näher zu untersuchen. Dazu gibt es bislang noch keine umfangreichen Untersuchungen. Wir tauschen uns zudem seit 2017 eng mit Herstellern, Entwicklern, potentiellen Endanwendern und berufsgenossenschaftlichen Vertretern darüber aus, ob die Exoskelette ergonomisch konstruiert sind, ob sie also in ihrer Handhabung und ihrem Tragekomfort bestmöglich produziert sind. Nur so kann die Akzeptanz der Beschäftigten gewonnen werden.

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