Nur ein Hype oder machen Exoskelette Hoffnung auf eine nachhaltige Zukunft in der Arbeitswelt?
Ralf Schick: Seit 2014 beschäftigen wir uns bereits mit der Nutzung von Exoskeletten an gewerblichen Arbeitsplätzen. Uns interessieren besonders ihre Wirksamkeit und ihr Präventionspotential. So sehen wir durchaus, dass sie beim Heben von Lasten oder bei Zwangshaltungen, beispielsweise bei Über-Kopf-Arbeiten, unterstützen können. Damit haben Exoskelette sicher das Potential, langfristig physische Belastungen zu verringern und etwa Muskel-Skelett-Erkrankungen entgegenzuwirken. Aber: Zur Analyse gehört auch, mögliche Risiken bei ihrem Einsatz frühzeitig zu erkennen und zu vermeiden.
Wie sind Exoskelette sicherheitstechnisch zu bewerten?
Ralf Schick: Die sicherheitstechnischen Anforderungen richten sich nach dem Einsatzzweck der Exoskelette in Unternehmen. Drei Szenarien sind hier denkbar: Exoskelette werden dafür benutzt, erhöhte physische Belastungen am Arbeitsplatz zu verringern oder gar zu vermeiden. Dann wären sie als eine Persönliche Schutzausrüstung (PSA) einzustufen, die eng am Körper getragen und individuell auf den Beschäftigten einstellbar sein muss. Die PSA-Verordnung gibt dann die sicherheitstechnischen Anforderungen an das Exoskelett vor. Primär sehen wir ein Exoskelett als PSA an, wenn Unternehmen deutlich erhöhte physische Belastungen an Arbeitsplätzen verringern möchten. In der Gefährdungsbeurteilung schneiden diese Arbeitsplätze schlecht ab, Präventionsmaßnahmen müssen durchgeführt werden.
Wann ist ein Exoskelett aus Ihrer Sicht keine PSA?
Ralf Schick: Ein Exoskelett kann auch als medizinisches Hilfsmittel betrachtet werden, beispielsweise im Rahmen der Inklusion oder des Betrieblichen Eingliederungsmanagements, um älteren Beschäftigten oder behinderten Menschen eine Teilhabe am Arbeitsleben zu ermöglichen. Dann könnte das Medizinproduktegesetz zur Geltung kommen. Der dritte mögliche Fall: Ein Exoskelett wird als technisches Hilfsmittel eingesetzt, um weiteren Komfort am Arbeitsplatz zu erzielen oder die physische Belastung noch weiter zu verringern. Die Maschinenrichtlinie regelt dann die entsprechenden Anforderungen.
Wenn sich ein Unternehmen für ein Exoskelett entscheidet, was muss es bei der Gefährdungsbeurteilung am Arbeitsplatz beachten?
Ralf Schick: Wenn ein Exoskelett an einem Arbeitsplatz eingesetzt wird, entsteht ein neuer Arbeitsplatz, der nun in einer Gefährdungsbeurteilung neu bewertet werden muss. Als Unternehmen sollte ich die Wirksamkeit des Exoskeletts kennen und wissen, inwieweit es die äußerlichen Belastungen reduziert. Darüber hinaus müssen sicherheitstechnische Fragen geklärt werden: Bleibe ich irgendwo mit dem Exoskelett hängen? Verletze ich womöglich Kolleginnen oder Kollegen an benachbarten Arbeitsplätzen versehentlich damit? Birgt das Exoskelett vielleicht auch ein höheres Verletzungsrisiko, wenn ich stolpere oder stürze? Kann ich bei einem Notfall – wie einem Brand – noch schnell genug reagieren? Alles Fragen, die in die Gefährdungsbeurteilung einfließen und bewertet werden müssen ...
Haben Sie bereits Erkenntnisse darüber, welche Folgen die regelmäßige Nutzung von Exoskeletten haben kann?
Ralf Schick: Wir verfügen momentan nur über Anhaltspunkte, nicht über wissenschaftlich fundierte Untersuchungen. Wir wissen aber bereits, dass die aktuellen Exoskelette im Markt meist nur eine Körperregion unterstützen und es somit denkbar ist, dass Lasten auf andere Körperbereiche umverteilt werden. Druckstellen, Hautabschürfungen und -reizungen bei längerem Tragen sowie langfristig ein Muskelabbau sind denkbar. Wir können noch nicht beurteilen, ob bei Überkopfarbeiten mit Durchblutungsstörungen zur rechnen ist, weil man länger als normal Arme und Hände über den Kopf hält.
Wann sollte ein Unternehmen auf Exoskelette verzichten?
Ralf Schick: An stationären Arbeitsplätzen, etwa in einem Lager, in einer Produktions- oder Fertigungshalle, wo Lasten manuell gehoben werden, müssen unserer Meinung nach Exoskelette nicht generell eingesetzt werden. Es gibt hier viele andere technische Lösungen, wie etwa eine Hebehilfe, ein Vakuumlifter, Kran oder Stapler. Jedes Unternehmen muss individuell prüfen, ob alle technischen Möglichkeiten ausgeschöpft sind, bevor sie sich für ein Exoskelett entscheiden.
Auch Nebentätigkeiten können ein Problem darstellen. Nehmen wir das Berufsbild des Kommissionierers: Das Exoskelett unterstützt zwar beim Heben der Last, wenn ich das Gewicht aber drei bis vier Meter zum Kommissionsgerät tragen muss, könnte es mich in meiner Bewegungsfreiheit einschränken. Zudem könnte mich das Exoskelett beim Fahren des Kommissioniergerätes behindern.
Was muss Ihrer Meinung nach noch von Seiten der Hersteller in Sachen Arbeitsschutz erledigt werden?
Ralf Schick: Das ist ein Entwicklungsprozess. Wir planen im Rahmen eines Projekts, verfügbare Exoskelette hinsichtlich ihrer Sicherheit und Gesundheit für Beschäftigte näher zu untersuchen. Dazu gibt es bislang noch keine umfangreichen Untersuchungen. Wir tauschen uns zudem seit 2017 eng mit Herstellern, Entwicklern, potentiellen Endanwendern und berufsgenossenschaftlichen Vertretern darüber aus, ob die Exoskelette ergonomisch konstruiert sind, ob sie also in ihrer Handhabung und ihrem Tragekomfort bestmöglich produziert sind. Nur so kann die Akzeptanz der Beschäftigten gewonnen werden.